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Schulze-Delitzsch und seine Stiftung

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Textdaten
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Autor: Hermann Schulze-Delitzsch
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Titel: Schulze-Delitzsch und seine Stiftung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 766-767
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Schulze-Delitzsch und seine Stiftung.

Seit einiger Zeit haben die Gegner des Gründers der deutschen Genossenschaften öffentlich die Beschuldigung ausgesprochen, daß Schulze-Delitzsch von der „Bourgeoisie“ mit einem Capitale von 45,000 Thalern geworben worden sei, um ihre Interessen wahrzunehmen und zu vertheidigen. Diese Anklage des hochverehrten Volksmannes ist nichts weiter als eine wissentliche Lüge, wie der einfache Thatbestand hinlänglich beweist. Bekanntlich traten im Jahre 1863 eine Anzahl wackerer Männer aus allen Ständen zusammen, um Schulze-Delitzsch, der nicht nur seine Zeit, sondern auch einen großen Theil seines eigenen Vermögens dem Wohle des Volkes geopfert hatte, für die Zukunft die Mittel zu sichern, um mit ungeschwächter Kraft und frei von Sorgen seinem verdienstvollen Werke sich widmen zu können. An dieser Sammlung betheiligten sich damals alle Volksclassen ohne Ausnahme, nicht nur die sogenannte Bourgeoisie, sondern vor Allen dreißigtausend Mitglieder der deutschen Genossenschaften, meist aus dem Handwerker- und Arbeiterstande. Trotz der dringenden Vorstellungen und Bitten seiner Freunde und Gesinnungsgenossen ließ sich Schulze nicht bewegen, den reichen Ertrag dieser Sammlung als sein Eigenthum anzunehmen, sondern er begründete mit demselben eine Stiftung „zur Besoldung solcher Männer, deren Wirken und Thatkraft man in der öffentlichen Sache zum Besten des gesammten deutschen Vaterlandes in nationaler, politischer und socialer Hinsicht in Anspruch nimmt.“ Erst auf das wiederholte Drängen der Geber, besonders der Genossenschaften, ließ er sich bewegen, den kleinsten Theil der Sammlung zum Ankauf eines Hauses und Gartens zu verwenden in Erwägung, daß ihm zweimal, im Herbst 1863 und Sommer 1864, bereits abgeschlossene Mietsverträge durch Einwirkung der Reaction in Potsdam rückgängig gemacht worden waren. Schulze hatte zu diesem Zwecke 11,500 Thaler angenommen, da aber der Ausbau des Hauses erhebliche Kosten machte, fernere 6000 Thaler verbraucht, die er jedoch von freien Stücken an die Stiftung zurückgezahlt, als er durch Erbschaft des väterlichen Vermögens dazu in den Stand gesetzt worden war, so daß gegenwärtig der sogenannte Schulze-Delitzsch-Fonds sechsunddreißigtausend Thaler beträgt. Dies ist der wahre Sachverhalt, welcher noch durch die wenige Tage nach der Schenkung erlassene „Erklärung und Dank“ von Schulze-Delitzsch bestätigt wird. Das wichtige Actenstück, welches hier zum ersten Mal abgedruckt und der verdienten Öffentlichkeit übergeben wird, enthält folgende Motive seiner eben so edlen als ehrenwerthen Handlungsweise:

Von Freunden und Gesinnungsgenossen, von Mitstrebenden auf politischem und socialem Felde, Männern aus allen Classen des Volks und aus ganz Deutschland, insbesondere auch von Genossenschaften und Vereinen ist ein bedeutendes Capital zusammengebracht und mir gestern als Eigenthum zu freier Verfügung durch eine Deputation, nebst mehreren Ehrengaben der sinnigsten und schönsten Art, überwiesen.

Ich habe mich im Drange und in der Bewegung des Augenblicks vor den Mitgliedern der Deputation über Annahme dieser Gabe wie über die Art ihrer Verwendung meinerseits nur sehr kurz und andeutungsweise aussprechen können. Indem ich hierdurch nun offen und herzlich meinen Dank abstatte, fühle ich mich gedrungen, das bei der Ueberreichung Gesagte der Gesammtheit der Geber, wie den Einzelnen gegenüber theils zu wiederholen, theils zu ergänzen und mich überhaupt bestimmt über Alles zu erklären. Es ist meines Wissens das erste Mal in Deutschland, wenigstens innerhalb der liberalen Partei, daß man, um die Thätigkeit eines Mannes für die gemeine Sache zu erhalten, ihm die Mittel zu seinem Lebensunterhalt bietet. Desto ernster und größer ist aber ebendeßhalb die Verpflichtung, welche damit an mich herantritt.

Was den Charakter der Gabe anlangt, so weiß ich und sprach es schon gegen die Deputation aus: daß von einem sogenannten Nationaldanke nicht im Entfernten die Rede ist. Ich sehe hierbei von dem in jeder Hinsicht Mißlichen eines Wägens und Vergleichens der eigenen Leistungen mit denen Anderer ganz ab, und enthalte mich aller in solchen Fällen vorkommenden Bescheidenheitsphrasen. Aber das steht fest: es würde ein hoher Grad von Geckenhaftigkeit dazu gehören, wollte ich eine Auszeichnung vor einer Schaar trefflicher Männer darin erblicken, in deren Reihen auch nur mitzuzählen schon die höchste Ehre ist. Nein, „Leistung und Gegenleistung“, das ist Ihre Losung bei dieser Gabe. Weil der Zweig der Thätigkeit, dem ich mich speciell im Interesse des Gemeinwohls gewidmet habe, meine Zeit und Kraft so vollständig in Anspruch nimmt, daß ich wenig für mich und meine Familie übrig behalte, während ich es doch jeden Augenblick in der Gewalt habe, mir ein reiches Einkommen aus eigener Kraft zu schaffen, und schon verschiedene dahin zielende Anerbietungen von mir zurückgewiesen sind: deßhalb wollen Sie die Differenz ausgleichen, damit ich im Stande bleibe, mich dem erwählten Berufe nach wie vor zu widmen und manches Begonnene weiter zum Ziele zu führen.

Und weil dies die einfache Wahrheit ist, so nehme ich das Dargebotene an, mit dem selbstverständlichen Vorbehalt der Verfügung darüber nach meinem eigensten Sinne und Geiste. – Ich werde daraus, den Absichten der Geber gemäß, mir Erleichterung und die mit wachsender Arbeit in immer größerem Maße nöthig werdende Hülfe schaffen, mich von manchen Sorgen für meine und der Meinigen Zukunft befreien, mir eine feste Häuslichkeit gründen. Ich darf hoffen, dadurch meine wankende Gesundheit zu befestigen, mich länger und frischer in meiner Thätigkeit zu erhalten, auch mehr als bisher durch Reisen in den verschiedenen Theilen Deutschlands für meine Bestrebungen wirken zu können. – Aber Alles dies kann und wird durch den zusammengebrachten Fonds in einer Weise [767] erreicht werden, daß derselbe nicht blos mir, während meiner Wirksamkeit, sondern nach meinem Abtreten dauernd auch anderen Männern, deren Kräfte nach irgend einer Richtung für die gemeine Sache in Anspruch genommen werden, zu Statten kommt.

Denn ich äußerte es schon gegen die Deputation, das dürfen wir uns nicht verhehlen, daß uns Allen der ganzen liberalen Partei, höchlich daran gelegen sein muß, daß diese Angelegenheit in einer für Geber wie Empfänger gleich würdigen Weise geordnet werde. Es ist ein Vorgang, ein Beispiel von weitgreifender Bedeutung. Wie die Gabe im großen, freien Sinne geboten wurde, so muß sie auch im gleichen Sinne angenommen werden. Sie legen Werth auf meine Wirksamkeit, Sie wollen auch darin erhalten, darin fördern, nicht hemmen. Da haben wir vor Allem darauf zu achten, daß diese meine Wirksamkeit in ihren inneren sittlichen Bedingungen, wie in ihren äußeren Erfolgen nicht erschüttert werde. Zu diesen inneren und äußeren Bedingungen meiner Wirksamkeit, zur Erhaltung der echten Freudigkeit am eigenen Thun, sowie der allein wirksamen Stellung in socialer wie in politischer Hinsicht gehört aber vor Allem:

daß ich rücksichtlich der Hauptquellen meiner äußeren Existenz auf mich selbst angewiesen bleibe!

Wer dem Volke die Selbstverantwortung für die eigene Existenz, das Stehen auf der eigenen Kraft als Grundbedingung wirthschaftlicher Selbstständigkeit und bürgerlicher Freiheit predigt, der hat diese Principien zunächst im eigenen Leben darzustellen. Eben dem Umstande, daß ich, aus Amt und Einkommen gedrängt, meinen Weg unbeirrt wandelte, und mir eine neue Existenz aus eigener Kraft in strenger Arbeit gründete, verdanke ich zum großen Theile, daß man mir von allen Seiten mit dem Vertrauen entgegenkam, welches die wesentliche Bedingung jeder gedeihlichen öffentlichen Wirksamkeit ist. Wer ernste, oft schwere Forderungen an die Menschen zu stellen genöthigt ist, von denen ihr Emporkommen abhängt, der soll diesen Maßstab auch an sich selbst legen. Den meisten Anklang, namentlich bei unseren Arbeitern, wird naturgemäß immer der finden, der seinen Unterhalt, gleich ihnen, aus seiner Arbeit zieht und in einer so wichtigen Beziehung mit ihnen auf gemeinsamem Boden steht. Diese meiner Lebensgewöhnung und Lebenshaltung entsprechende, mir lieb gewordene Stellung, – ich darf wohl sagen, die Frucht nachhaltiger Anstrengung, die mich deshalb mit einigem Selbstgefühl erfüllt, – ist mit allen Wurzeln meines Seins und Thuns innig verwachsen. Daher mag ich wohl eine Steigerung der mir zu gewährenden Gegenleistung für meine Thätigkeit auf angemessene Höhe, sowie die Gewährung der Mittel zur Besoldung von Gehülfen annehmen, weil dies das Princip dieser Thätigkeit selbst nicht alterirt, nicht aber die Schenkung eines ganzen Vermögens, welches auf die Zukunft hin mich der Selbstsorge für mich und die Meinigen überhöbe und es gleichgültig machte, ob und wie viel ich ferner auf dem erwähnten Felde arbeitete. Denn dadurch würde meine angedeutete Stellung in ihrem Grunde verschoben und mir diejenige Freude am eigenen Thun verkümmert, welche für Jeden daraus entspringt, daß es ihm nicht nur innere Befriedigung, sondern auch die Mittel zum Leben gewährt.

Und dieser Grundforderung meinerseits wie allen sonstigen Rücksichten kann leicht und im vollsten Maße genügt werden. Wird selbst ein unerheblicher Theil der Gabe zum Erwerb einer bescheidenen Häuslichkeit für mich verwendet – ein Punkt, in welchem ich dem wiederholten Dringen der deutschen Genossenschaften nachgegeben habe –, so sind doch die Zinsen des dann noch verbleibenden eigentlichen Stammcapitals mehr als ausreichend für mich, die nöthigen Hülfsarbeiter anständig zu besolden, den Bureauaufwand zu decken, die Kosten von Reisen zu bestreiten und nach Befinden selbst einen Ueberschuß zum Honorar noch zu gewähren. Daher muß das Capital unangetastet erhalten, in Form einer bleibenden Stiftung der Einzelverfügung entzogen und der Verwaltung eines Comités, dessen Mitglieder ich mir zu ernennen vorbehalte, unterstellt werden, mit der Bestimmung:

1) daß mir, so lange ich lebe, eine Stimme in diesem Comité zusteht;

2) daß die Zinsen nach meinem Rücktritt zur Besoldung solcher Männer verwendet werden, deren Wirken und Thatkraft man in der öffentlichen Sache zum Besten des gesammten deutschen Vaterlandes in nationaler, politischer und socialer Hinsicht in Anspruch nimmt;

worüber das Comité allein entscheidet.[1]

Und diese Verfügung kann ich, wie vor mir selbst, so auch vor Ihnen verantworten. Ich gebe Ihnen die freudige Versicherung, daß ich durch Uebertragung der Hülfsleistungs-, Bureau-, Reisekosten und dergl. aus dem Zinsertrage des Fonds, in Folge deren mir das sonstige Einkommen aus meinen Arbeiten zur Deckung der eigenen Bedürfnisse völlig freibleibt, nicht nur ein reichliches Auskommen, sondern so viel besitze, daß ich für die Zukunft meiner Familie zu sorgen im Stande bin. Sie sehen also, Ihr Zweck wird durch Ihre Gabe, in der Form, wie ich sie annehme, vollständig erreicht, sie kommt mir gar sehr zu Statten. Darin aber liegt gewiß keine für Sie kränkende Ablehnung, wenn ich so damit haushalte, daß dieselbe nach mir auch noch Andern in gleicher Lage zu Statten kommt. Haben Sie doch auf diese Weise, anstatt blos einen einzigen Mann zu stützen, etwas Bleibendes geschaffen zum Wohle de gesammten Vaterlandes, den Grund zu einem Fond gelegt, aus dem die Nation Arbeiter lohnt in der gemeinen Sache. So erhebt sich Ihr Unternehmen zu einer nationalen That, und der Empfänger solchen Soldes fühlt sich nicht, wie beim Empfange einer Wohlthat, herabgedrückt, sondern gehoben, im Dienste der Nation, welche seine Arbeit verlangt und honorirt.

Und wie Ihnen verdiente Ehre, dem Vaterlande eine gute Frucht, wird mir so noch zu alledem die höchste Freude. Ich wüßte nicht, was Sie mir Lieberes hätten erzeigen können, als es möglich machen, daß ich auch an meinem Theile zu einer solchen Schöpfung mit beitragen kann. Durch nichts konnten Sie mich so stärken und erfrischen in der mir nun doppelt lieben Thätigkeit, welche durch die Anerkennung so vieler Ehrenmänner aus allen Schichten des Volks eine neue Weihe erhalten hat. Gewinne ich doch die Gewißheit, daß zur Fortführung und Sicherung so manches Begonnenen ein wichtiger Schritt gethan, daß für die Arbeiter gesorgt ist, welche künftig an unserer Stelle einzutreten haben.

So liegt denn, das, hoffe ich, werden Sie nach dieser offenen Darlegung mit mir fühlen, in meiner Verfügung über Ihre Gabe der beste Dank, den ich Ihnen überhaupt dafür zollen konnte. Seien Sie versichert, ich weiß das lebhafte wiederholte Andringen von Ihrer Seite, das ganze Capital für mich und die Meinen zum freien Eigenthum zu behalten, nach seinem vollen Werthe zu schätzen. Aber wenn es Ihnen ziemte, zu geben auf Ihre Weise, frei und unbedingt, so ziemte es mir, zu nehmen nach der meinen, d. h. bedingt, weil ich nur so die innere Freiheit, den wahren Boden meiner Wirksamkeit zu bewahren im Stande war, ohne welchen ich in dieser Wirksamkeit, die doch einzig das Motiv Ihrer Gabe bildet, gelähmt worden wäre.

Darauf Ihnen Allen, denen ich nicht persönlich danken kann, aus der Ferne Gruß und Handschlag!

Potsdam den 5. October 1863.

Schulze-Delitzsch.

  1. Der Fond ist bereits einem interimistischen Comité bis zur definitiven Ordnung der Angelegenheit überwiesen.