Schwarzes Brett für die Volksschule
[590] Schwarzes Brett für die Volksschule. Nr. 2. Schullehrer oder Handwerker? – Es sind nun fast drei Jahre her, wo wir (in Nr. 44 des Jahrganges 1870 der Gartenlaube) „Zwei Preisfragen“ veröffentlichten über die Besetzung einer mecklenburgischen ritterschaftlichen Schulstelle durch einen Lehrer, welcher „seine Mußestunden durch Betreibung eines passenden Handwerks ausfüllen“ dürfe. Dieselben hatten mehrere Einsendungen veranlaßt, die zu einer ausführlicheren Beantwortung verpflichteten. Die Stoffüberfüllung der Kriegszeit drängte den fertig vorliegenden Artikel auf die Seite; die großen Ereignisse jener Tage ließen den kleinen Hader in Vergessenheit kommen, und erst jetzt fühlt sich ein Dr. G. Flemming in Lübz gedrängt, indem er uns den Tod des Pastors Haeger anzeigt, „die Ehre seines verstorbenen treuen Jugendlehrers, Beichtvaters und väterlichen Freundes zu retten“.
Nur der Familie des Verewigten wegen nehmen wir das vergilbte Manuscript wieder hervor und geben es hiermit wie folgt in den Druck.
Die einzige dankenswerthe Mittheilung über jene Art von Schulstellenbesetzung machte damals „ein Mecklenburger in Westpreußen“; er sagt: „In Mecklenburg stellt jeder Rittergutsbesitzer, der auf seinem Gute eine Schule hält, den Schulmeister (dort die landübliche Bezeichnung) selbst an, der vorher bei dem Ortspfarrer ein sehr unschuldiges Examen zu bestehen hat. Der Rittergutsbesitzer hat gesetzlich das Recht, irgend einen kleinen Handwerker dazu zu wählen, und er wählt einen solchen, weil er ihm einen Gehalt zahlt, von dem allein eine Familie nicht leben kann. Wenn nun der Prediger die Verpflichtung hat, die Vacanz einer Schulstelle anzuzeigen und zu Bewerbungen aufzufordern, so kann er nicht anders, als die Sachlage mittheilen.“ Danach hat Herr Pastor Haeger Alles, was er thun mußte, sogar in möglichst milder Form zu vollbringen gesucht, und indem wir das anerkennen, fügen wir noch hinzu, daß alle Einsender und öffentlichen Nachrufe ihn einen in seiner Gemeinde, die ihn sich zum Nachfolger seines Vaters und Großvaters erbeten hatte, und in weiteren Kreisen hochgeachteten Ehrenmann nannten. Diese Bemerkung möge der Familie des Pastors Haeger eine Genugthuung sein, da ihn selbst unsere Stimme nicht mehr erreichen kann.
Wenn der Einsender weiter behauptet: „Von einer Entwürdigung des Lehrerstandes kann demnach in diesem Falle wohl nicht die Rede sein, da kein Mann des Lehrerstandes, sondern geradezu ein kleiner, verkommener Handwerker zu solchem Lehrerposten gesucht wird“ – so spricht er eine entsetzliche Wahrheit aus. Denn dann treiben eben dort nicht etwa arme Lehrer nebenbei ein Handwerk, sondern arme Handwerker besorgen nebenbei die Schulmeisterei. Die von uns gerügte Erniedrigung der Volksbildung ist damit aber schlagend dargethan, und daß diese heute noch sogar auf gesetzlichem Rechte beruhen kann, daran tragen nicht blos die gesetzgebenden Herren Ritter die Schuld: sie vertheilt sich auf alle gebildeten selbstständigen Männer des Landes, welche in egoistischem Behagen Volk und Schule sich selbst überließen und den einzelnen Kämpfern für dieselben theilnahmlos den Rücken kehrten.
Jedem tüchtigen Staat und Volk ist unter allen seinen Anstalten die Schule der Augapfel. Man sehe, welche Sorge und welche Summen die Union Amerikas, die Schweizer Eidgenossenschaft auf ihre Bildungsanstalten verwenden – und man wird den Hut abnehmen vor solcher Würdigung der Volksbildung. Und wenn der Ritterschaft des Obotritenthrons diese Beispiele zu republikanisch duften, so stellen wir ihr das fürstenreichste deutsche Land als Muster hin: das ist Thüringen mit seinen acht Kleinstaaten. Der größte Theil derselben liegt am und im Gebirge, nur der geringere Theil ist fruchtbares, ebeneres und Hügelland. Aber wie letzteres, hat auch ersteres treffliche Unterrichtsanstalten und selbst das höchste und ärmste Gebirgsdorf ist stolz auf seine gute Schule mit seinem pädagogisch tüchtig gebildeten Lehrer, dem man keine andere Nebenbeschäftigung zumuthet, als die Pflege der Musik und namentlich des Orgelspiels. Thüringen ist für Schul- und Volksbildung ein deutsches Musterland: ihm muß man vor Allem da nachstreben, wo man in der Würdigung und Pflege von beidem noch am weitesten zurücksteht.
Leider hat das mecklenburgische Landvolk Leidensgenossen im Nord und Süd, in Alt- und Neu-Preußen. Vor uns liegt ein „Hannöversches Zeitblatt“, in welchem unter Anderem folgende „vacante Schulstellen“ ausgeboten sind: ein Rectorat mit 391 Thlr. 5 Gr. 7 Pf. Einnahme, als der glänzendste Dienstposten, dann aber eine Schulstelle zu 127 Thlr. 15 Gr., eine andere zu 121 Thlr., eine dritte zu 100 Thlr. und endlich eine Schulstelle zu 30 Thaler und dem Reihetisch! Da beträgt also für den Lehrer dieses Dorfes – es ist Duden-Rodenbostel im Fürstenthum Calenberg – der Bargehalt täglich 2½ Groschen. Das Mittagessen hat er, denn er ißt jeden Mittag an einem andern Bauerntisch; Morgen- und Abendimbiß, Kleidung und menschliche Erholung hat er aber mit seinen 2½ Groschen zu bestreiten. So etwas wird man gewiß in Mecklenburg nicht wiederfinden.
Den Handwerkern, die sich in großer Entrüstung gegen uns darüber äußerten, daß es eine „Entwürdigung“ der Schule sein solle, wenn ein Handwerker auch Lehrer werde – sagen wir als unsere Meinung Das: Nur ein ungebildeter Handwerker kann sich einbilden, daß er jeden Augenblick auch Lehrer sein könne. Der tüchtige, gebildete Handwerker verabscheut jede Pfuscherei.