Schweiz und Deutschland

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Titel: Schweiz und Deutschland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 612
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[612] Schweiz und Deutschland. In einer soeben erschienenen Schweizer Schrift: „Mimosen“, von einem Schweizer verfaßt, heißt es wörtlich: „Unter dem Dorfe Zigers[WS 1] steht unweit des rechten Ufers des Rheinstroms und der Brücke, die von Untervaz herüberführt, mit Graben und Wall umgeben, das uralte Schloß Fridau oder Fridnow. Es wird zu Hochgerichtsgefängnissen (die drei Bünde, Zehntgerichten-, Gotteshaus- und Grauer-Bund, zerfallen in 26 Hochgerichte) verwendet. Das Volk nennt es nur den Schelmenthurm. Die Mauern sind schwarzgrau, das Dach ist mit Moos bewachsen, und durch die obern schmalen Oeffnungen saust und pfeift und heult der Wind. Innen aber ist es grauenhaft. Tief unter der Erde befinden sich die Gefängnisse. Kein Strahl des Lichts und kein erfrischender Athemzug des Windes kann in sie dringen. Die dunkelste Dunkelheit und der lebenzerstörende Modergeruch, entsetzlicher als im Schooße der Grüfte, herrscht in ihnen. An Seilen werden die Gefangenen in die schaudervolle ewige Nacht hinabgelassen. Die, welche, um zum Verhör oder vor den Richter gebracht zu werden, hinaufgewunden werden müssen, werden nicht mehr abgeholt, wenn sie keine Antwort mehr geben, weil der Schwarze Tod mit seinem pestartigen Hauche ihr Leben vernichtet. Drunten mögen sie zum Entsetzen der Neuhinabgelassenen fortmodern, bis der Zahn der Zeit das alte Gemäuer zerfressen und die letzten Reste ihrer Gebeine an’s Tageslicht kommen. Von Zeit zu Zeit wird etwa ein Bund Stroh hinabgeschmissen, womit der Gefangene sich auf modernden Gerippen betten mag. Sein Wasser und Brod oder was sonst noch etwa mitunter zugelegt wird, läßt man ihm unter Zuruf, auf da er es ablöse, an Stricken hinab etc.

Außerdem erzählt der Verfasser noch viel von Nattern, Kröten und Molchen. Da derselbe die ausgesprochene Tendenz verfolgt, seinen Lesern eine Art Landeskunde zu bieten, so läßt sich annehmen, daß etwas Wahres daran sein muß, und es fragt sich nun, ob diese Nichtswürdigkeiten mit Genehmigung der oberen Schweizer Behörden geschehen. Wir zweifeln daran, wie wir vorläufig zur Ehre der Menschheit an der Wahrheit der Schilderung überhaupt zweifeln wollen.

Dagegen können wir aus der kleinen Republik eine Thatsache mittheilen, die so recht schlagend beweist, wie dort Vaterlandsliebe und Patriotismus schon von Jugend auf gepflegt und gefördert werden. Die weltgeschichtliche Bergwiese am Vierwaldstätter See, das Rütli, wo der von unserm Schiller so schön geschilderte Schwur der drei Männer von Schwyz, Uri und Unterwalden gen Himmel tönte, sollte Anfangs dieses Jahres an einen Speculanten verkauft werden, der ein Hotel darauf zu bauen beabsichtigte. Die Presse bemächtigte sich sofort dieser Angelegenheit, die sie als eine Schmach für die Schweiz hinstellte, und forderte zu einer Subscription, behufs Ankaufs des welthistorischen Plätzchens, auf. Der Vorschlag, die Aufbringung der dazu nöthigen Mittel (50,000 Francs) der Jugend zu überlassen, fand allgemeinen Beifall und ward sofort in allen Schulen und Privatinstituten in’s Werk gesetzt. Jetzt – nach einigen Monaten – liegt das Resultat vor. Nicht 50, sondern 95,000 Francs sind eingegangen, das Rütli ist angekauft und bleibt ein freies Eigenthum der Schweizer, die sich und ihrer Vaterlandsliebe dadurch ein ehrendes Denkmal setzten. Kein Hotel und Tellergeklirr wird den historischen Platz entheiligen.

Und Deutschland! Das mächtige, große, bundesbeglückte Deutschland mit seinen reichen Fürsten und geldtrotzenden Bankiers und wohlhabenden Bewohnern – was thut Deutschland? Oben auf der Höhe des Teutoburger Waldes, wo Hermann einst das theure Vaterland von römischer Knechtschaft errettete, hoch oben, so recht zur Schande des ganzen Landes, liegen die Steine eines Denkmals, welches ein wackerer Künstler im Vertrauen auf Deutschlands Unterstützung dem edlen Vertheidiger des heimathlichen Bodens errichten wollte. Gesammelt ist allerdings worden, aber Deutschland hat den Künstler schmählich im Stich gelassen. Schild und Arm der kolossalen Statue liegen seit Jahren im – Versatzhause, und der arme Künstler hat seine Arbeit einstellen müssen, da im ganzen großen Deutschland kaum die Kosten des Sockels zusammengeschnurrt werden konnten. Vielleicht hätte eine Pfennigsammlung in den deutschen Schulen das Denkmal vor dieser Schmach gerettet – vielleicht auch nicht! Wo soll auch deutsche Vaterlandsliebe erzogen werden? Wir kennen einen königlich preußischen, sächsischen oder bairischen Patriotismus, aber einen deutschen kennen wir nicht, und am wenigsten wird er unserer Jugend gelehrt. Deutsche Vaterlandsliebe belehnt man im Vaterlande mit Untersuchungen und Verfolgungen, und nennt sie Hochverrath an der Souverainetät deutscher Fürsten!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist Zizers