Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 104.

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« §. 103. Schwere, Elektricität und Magnetismus §. 105. »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).

|[333]

§. 104.
Zusammenhang mit Ampère’s Gesetz.


 Der Ausdruck (12) des §. 96 ist von uns so interpretirt worden, dass der von den Geschwindigkeiten abhängige Theil des Gesammtpotentials zwei geschlossener Ströme auf einander sich durch Summirung aus lauter Einzelpotentialen zusammensetzt. Das Einzel- |[334]potential bezieht sich überhaupt auf zwei elektrische Theilchen und . Handelt es sich um das Potential zweier Ströme auf einander, so hat man jedes Theilchen des einen Stromes mit jedem Theilchen des anderen Stromes zusammenzufassen, für jede solche Zusammenstellung das Einzelpotential zu bilden und alle Einzelpotentiale zu summiren. So kömmt aus §. 96 (13) der Ausdruck für in Gleichung (12) desselben Paragraphen richtig zu Stande, und ehenso aus (II) der Ausdruck für in Gleichung (5) des §. 98.

 Soll nun aus dem Fundamentalgesetze Weber’s


(1)


oder aus dem Fundamentalgesetze Riemann’s


(2)


die gesammte Wechselwirkung aller elektrischen Theilchen berechnet werden, welche überhaupt in zwei geschlossenen Leitern in Ruhe und in Strömung begriffen sind, so hat man für jede Combination von zwei verschiedenen Theilchen und den Ausdruck (1) resp. (2) herzustellen und zu summiren.

 Hier sind dreierlei Combinationen zu unterscheiden, nemlich zwei ruhende Theilchen, ein ruhendes und ein bewegtes Theilchen und endlich zwei bewegte Theilchen.

 Wir wollen den besonderen Fall von zwei geschlossenen constanten Strömen betrachten, um zu untersuchen, ob Weber’s Grundgesetz, resp. Riemann’s Grundgesetz mit Ampère’s Gesetze im Einklang stehen oder nicht. Bei Ampère handelt es sich um die elektrodynamische Wechselwirkung zwischen zwei Stromelementen, von denen das eine dem ersten, das andere dem zweiten Strome angehört. Es kommen also hier nur die Wechselwirkungen zwischen den bewegten elektrischen Theilchen der beiden constanten Ströme in Betracht.

 Nun lässt sich zunächst beweisen, dass der von herrührende Beitrag zu dem Gesammtpotential der bewegten elektrischen Theilchen gleich Null ist. Denn wir können mit einem einzelnen Theilchen zunächst alle anderen Theilchen in Combiimtion bringen. Dann tritt aus dem Summenzeichen heraus, und es ist die |[335]Summirung über alle von verschiedenen Theilchen auszudehnen. Nehmen wir zunächst die Summirung über ein Stromelement vor, so kann auch vor das Summenzeichen gebracht werden. Für beharrliche (hier: constante) Ströme ist aber in jedem Stromelemente. Alle Beiträge zu der zu bildenden Summe sind also Null. Dies gilt für die Zusammenstellung jedes einzelnen Theilchens mit den davon verschiedenen Theilchen . Folglich ist hier


(3)


 Es bleibt nur noch die Summe aller Werthe von übrig für die Combinationen von je zwei bewegten Theilchen. Diese Combinationen zerfallen in drei Gruppen, nemlich:

  erstens: je ein Theilchen des ersten Stromes mit je einem Theilchen des zweiten Stromes;

  zweitens: je zwei Theilchen des ersten Stromes;

  drittens: je zwei Theilchen des zweiten Stromes.

 Diese Gruppen liefern der Reihe nach die Potentiale, welche in §. 96 mit bezeichnet sind.

 Für constante Ströme sind und constant. Gehen wir von (1) aus, so ist


(4)


wenn die Summirung über alle Combinationen von Theilchen des ersten Stromes ausgedehnt wird.

 Da der Leiter von unveränderlicher Gestalt vorausgesetzt wird, so dürfen wir ein mit demselben fest verbundenes Coordinatensystem zu Grunde legen. Dann ist bei einem constanten Strome die Function



nur abhängig von einerseits und andererseits. Nimmt man zunächst ein einzelnes und summirt über alle , so ist die Summe eine Function einzig und allein von d. h. von den Coordinaten jenes Theilchens . Bildet man aber diese Summe für jede Werthen-Combination die überhaupt zu |[336]Punkten im Innern des Leiters gehört und fasst alle diese Summen durch Addition zusammen, so ist das Resultat constant.

 Dasselbe gilt von der Summe


(5)


wenn sie über alle Combinationen von Theilchen des ersten Stromes erstreckt wird.

 Ebenso beweisen wir, dass bei constanten Strömen constant ist.

 Bei constanten Strömen ist also die von den bewegten elektrischen Theilchen geleistete Gesammtarbeit gleich der Aenderung von allein. Danach zeigt sich, dass Weber’s und Riemann’s Grundgesetze mit Ampère’s Gesetze im Einklang stehen. Denn Ampère’s Gesetz bezieht sich auf constante Ströme. Ampère hat bei seinen Beobachtungen die Gleichgewichtslage beweglicher Stromleiter abgewartet, die von constanten Strömen durchflossen waren. Aus diesen Beobachtungen hat er sein Gesetz abstrahirt. Da wir nun Ampère’s Gesetz aus abgeleitet haben, und der Ausdruck für aus Weber’s und auch aus Riemann’s Grundgesetze sich herstellen lässt, so ist jener Einklang in der That nachgewiesen.[1] |[337]

WS: Die Anmerkungen dieser Seite werden auf der vorherigen Seite wiedergegeben.




  1. *) Ueber die Bewegung der Elektricität in drahtförmigen und in beliebigen Leitern hat Kirchhoff zwei Abhandlungen veröffentlicht in Poggendorff’s Annalen Bd. 100 (S. 193) und Bd. 102 (S. 529). Die elektromotorische Kraft wird darin angesehen als herrührend von vorhandener freier Elektricität und von der Induction, die in Folge der Aenderungen der Stromstärke in allen Theilen des Leiters stattfindet. Kirchhoff gelangt dadurch zu Strömen, bei denen nur ausnahmsweise die Dichtigkeit der freien Elektricität im Innern des Leiters gleich Null ist. Diese Untersuchungen Kirchhoff’s bilden den Ausgangspunkt für die Entwicklungen von Weingarten und Lorberg. (Weingarten. Ueber die Bewegung der Elektricität in Leitern. Borchardt’s Journal. Bd. 63. — Lorberg. Zur Theorie der Bewegung der Elektricität in nicht linearen Leitern. Borchardt’s Journal Bd. 71. S. 53.)
     Im Jahre 1858 hat Riemann der K. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen einen Aufsatz überreicht, später aber wieder zurückgezogen. Derselbe ist unter dem Titel: „Ein Beitrag zur Elektrodynamik" im 131. Bande von Poggendorff’s Annalen (S. 237) abgedruckt. Darin ist die Hypothese ausgesprochen, dass die Kraft, welche zur Zeit in einem elektrischen Theilchen ihren Sitz hat, auf ein anderes solches Theilchen in endlicher Entfernung erst zu einer späteren Zeit ihre Wirksamkeit beginne. Diesen Grundgedanken finden wir auch in einem gleichzeitig (1867) veröffentlichten Aufsatze von L. Lorenz: Ueber die Identität der Schwingungen des Lichts mit den elektrischen Strömen. (Poggendorff’s Annalen. Bd 131. S. 243.) Denselben Grundgedanken hat C. Neumann weiter behandelt. (Die Principien der Elektrodynamik. Tübingen 1868. Gratulationsschrift. — Allgemeine Betrachtungen über das Weber’sche Gesetz. Mathematische Annalen Bd. 8. 1875.)
     Weber’s Grundgesetz ist in den letzten Jahren Gegenstand einer von Helmholtz angeregten Controverse gewesen. Man sehe darüber die Abhandlungen:
     Helmholtz. Ueber die Bewegungsgleichungen für ruhende leitende Körper. (Borchardt’s Journal Bd. 72.) - Ueber die Theorie der Elektrodynamik. (Borchardt’s Journal Bd. 75 und Bd. 78.)
     Weber. Elektrodynamische Maassbestimmungen, insbesondere über das Princip der Erhaltung der Energie. (Abhandlungen der mathematisch-physischen Klasse der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften Bd. 10.)
     C. Neumann. Ueber die den Kräften elektrodynamischen Ursprungs zuzuschreibenden Elementargesetze. (Dieselben Abhandlungen Bd. 10.)
     Ferner: Die Aufsätze von C. Neumann im 5. und 6. Bande der Mathematischen Annalen und die Monographie desselben Verfassers: Die elektrischen Kräfte. Theil 1. Leipzig 1873.
     Von besonderem Interesse für den Mathematiker sind die beiden Abhandlungen von H. Weber: Ueber die Bessel’schen Functionen und ihre Anwendung auf die Theorie der elektrischen Ströme. (Borchardt’s Journal Bd. 75.) — Ueber die stationären Strömungen der Elektricität in Cylindern. (Borchardt’s Journal Bd. 76.)
     Von Lehrbüchern sind zu citiren:
     Beer. Einleitung in die Elektrostatik, die Lehre vom Magnetismus und die Elektrodynamik. Braunschweig 1865.
     Wiedemann. Die Lehre vom Galvanismus und Elektromagnetismus. 2. Auflage. Bd. I. II. 1 und 2. Braunschweig 1872. 1873. 1874.
     Maxwell. A treatise on electricity and magnetism. Vol. I. II. Oxford 1873. Bei Wiedemann findet man auch eine ausführliche Uebersicht über die Literatur.