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Sebastopol

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Sebastopol
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11; 23, S. 125–126;270-272
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[125] Sebastopol. „Als wir uns Sebastopol, von dem die Russen immer mit geheimnißvoller Ehrfurcht und Angst sprachen, näherten, fühlte ich selbst bedeutende Furcht vor allen möglichen Gefahren, doch fuhren wir, im Vertrauen auf unsere doppelte Verkleidung und unsern deutschen Führer Richter, frisch vorwärts. Als wir bei einer plötzlichen Wendung des Weges eine weite Uebersicht der Halbinsel Krimm auf der Wasserseite ihrer Gestade bekamen, erhob sich Sebastopol selbst als der eigentliche erhabene Mittelpunkt der ganzen Landschaft und bildete mit seinen hohen, weißen Häusern, drohenden Batterien und grünen Kirchendächern einen interessanten Anblick. Weit landeinwärts und mitten unter den Häusern und Hügeln erhoben sich Wälder von Masten und müßig im Winde flatternden Segeln. Wir konnten bald die schwerfälligen Körper von Linienschiffen wie Riesen über die Zwerge von Häusern und Straßen hervorragen sehen, so weit geht das Tiefwasser des Hafens mitten in die Bogen der Stadt hinein. Ich verbarg mich ängstlich in meinen Heuwagen, obgleich ich durch Bauernkleidung, über die der Staub noch einen Paletot von Unkenntlichkeit gewoben, mich sicher genug fühlen konnte: aber das strenge Verbot, Fremde in diesen Mittelpunkt der geheimnißvollen russischen Seemacht einzulassen, und die Furcht vor der russischen Polizei im Allgemeinen, beunruhigten mich auf die peinlichste Weise. Wiederholte Versicherungen Richter’s, daß ich ganz genau wie einer der vielen deutschen Bauern in der Nachbarschaft aussehe (die Zahl der deutschen Bauern auf der Halbinsel Krimm, der Kornkammer fast des ganzen schwarzen Meeres bis Konstantinopel, ist sehr bedeutend) und die schmutzige Tabackspfeife, die ich mir anstecken mußte, beruhigten mich einigermaßen. So polterten wir langsam und ziemlich unbeachtet vor Massen von Schildwachen vorbei, mitten in die Stadt hinein auf den Heumarkt und von da in ein deutsches Speisehaus, dessen Wirth uns mit Herzlichkeit und Beefsteaks aufwartete.

Die Vorsicht, mit der wir nun als polizeiwidrige Gäste Sebastopol in Augenschein nehmen mußten, paßte ganz genau zu der Luft und den Gesichtern hier. Alles sah uns geheimnißvoll und drohend an. Nichts als Soldaten und forschende Blicke und Kanonenaugen dumpf, groß, schwarz, blind, aber verderbenschwanger. (Eines Morgens präsentirten die Schildwachen mehrmals vor mir, bis ich hinter mir den Gouverneur der Festung bemerkte, der mich Schritt für Schritt zu verfolgen schien. Mein Blut gefror zu einem ganzen Sibirien, doch es erwies sich als Zufall und ich athmete auf, wie aus einer furchtbaren Lebensgefahr befreit. Der Ort wurde mir aber bald unerträglich. Hier erinnerte mich keine ehrwürdige Ruine an ehemalige Größe, wie in Italien, keine verschleierten Damen und beladenen Kameele trugen meine Phantasie in den wollüstigen Orient zurück. Die ganze Abwechselung auf meinen Spaziergängen bestand in Sechsunddreißigpfündern bis Sechsundvierzigpfündern und Soldaten. Es war mir, als ginge ich stets, wirklich und figürlich, auf einem ungeheueren Pulvermagazin, stets bereit, uns Alle in der Luft zu begraben.“

So schildert Laurence Oliphant, der neuerdings Sebastopol und die russischen Provinzen am schwarzen Meere genau gesehen, seinen Einzug [126] in den Ort, der nach langer geheimnißvoller Vorbereitung eine welthistorische Wichtigkeit bekommen soll, Sebastopol ist für Rußland, was Portsmouth für England, in der That das Herz für alle russischen Plätze auf dem Süden von Europa und Asien. Diese Plätze stützen sich auf das Testament Peter’s des Großen und auf die Kaiserin Katharina (seit 1780). Diese Pläne schufen Petersburg und verwandelten das elende Tartarennest Akhtier in – Sebastopol, das Gibraltar des schwarzen Meeres. Der jetzige Kaiser hat seit mehreren Jahrzehnten große Summen aufgewendet, um Sebastopol zu einem sichern Ankerplatz und einer Pflanzschule für seine neue Flotte zu erheben. Man wußte dies längst im Allgemeinen, ohne daß wir während eines vierzigjährigen Friedens besonders beachteten, was Rußland lange, langsam und sicher begründete und ausbildete. Die natürlichen Vortheile dieses Hafens für diese russischen Pläne sind sehr groß. Die Kunst hat, wie es allgemein heißt, alles Mögliche hinzugethan, so daß man annimmt, Sebastopol gehöre zu den ersten und festesten Festungen und Kriegs-Arsenalen der Welt.

Als Oliphant sich Sebastopol vom Meere aus ansah, kam er auf einen Punkt, wo 1200 Kanonen zugleich ihre Schlünde zeigten. Den verderbenschwangeren Eindruck, den diese Ansicht auf ihn machte, kann er nicht lebhaft genug schildern. Dagegen tadelt er die Kammern, in welchen die Kanonen stehen, als zu eng und ohne Ventilation, so daß die Soldaten darin, schon beim dritten Schusse im Pulverrauche unfehlbar ersticken müßten. Als von großer Wichtigkeit bezeichnet er noch die ungeheueren hölzernern Bollwerke um den Hafen herum. Die Fortificationskunst habe damit etwas Ausgezeichnetes geleistet und wie und wann auch ein Angriff auf diese Wasserfestung stattfinden würde, von der Seeseite sei es uneinnehmbar, schon deshalb, weil die Einfahrt in den Hafen so eng, daß nur ein Schiff auf einmal einlaufen könne, das außerdem dem Feuer von mindestens 300 Feuerschlünden ausgesetzt sei. Aber so gewiß auch die Uneinnehmbarkeit der Festung von der Seeseite sei, so wenig geschützt sei dieselbe von der Landseite. Eine Landung südlich von der Stadt, in einer der sechs Buchten, könne schwerlich gehindert werden und dann allerdings dürfte die Sicherheit der Festung sehr gefährdet sein.



[270]
Stadt und Hafen mit den Batterien und Zugängen.

Nachdem wir uns Kronstadt in einer frühern Nummer angesehen, müssen wir auch die andere Hauptwaffe Rußlands in der linken Hand in Augenschein nehmen. Sie heißt Sebastopol und erhebt sich auf der Halbinsel Krimm vom schwarzen Meere herauf, aus welchem dieser andere Arm Rußlands weiter um die Türkei und Europa herum strebt. – Sebastopol war noch am Anfange dieses Jahrhunderts ein elendes Tartarendorf. Seit einem halben Jahrhundert ist Rußland ununterbrochen im großartigsten Maße thätig gewesen, den Ort, den die Natur zu diesem Zwecke sehr begünstigte, in den stärksten militärischen Hafen für die Kriegsflotte des schwarzen Meeres umzuwandeln. Unser genauer, militärischer Plan zeigt uns mit einem Blick, wie großartig und umfangreich

[271] diese Thätigkeit gewesen.

Zuerst bildet das Meer vor Sebastopol einen großen Busen, aus welchem sich östlich eine ziemlich enge Meereszunge in’s Land hineinzieht. Aus dieser zweigt sich der eigentliche Hafen südlich ab. An beiden Seiten desselben steigen Stadt, Docks, Kasernen u. s. w. in die Höhe und gewähren vom Wasser aus einen ziemlich imposanten Anblick. Der Haupttheil der Stadt liegt an der westlichen Seite des Hafens, der hier mit dem Haupteinschnitt einen Winkel bildet. Der enge lange Haupthafen ist auf beiden Seiten ziemlich fett mit Batterien, Forts und Kanonenperlenreihen gespickt. Fahren wir auf der südlichen Seite herein, sehen uns zuerst zwei Batterien zwischen der Krouglaia- und Streletschkaia-Bai mit vielen hohlen Augen an. Eine kleine Strecke weiter sehen sich 51 Kanonen um, ob’s nichts für sie zu thun gäbe, da sie im Uebrigen blos die Quarantainebatterie bilden. Gleich darauf wohnen 84 Kanonen in zwei Etagen in sichern Räumen und dahinter als specielle Stadtwache an beiden Enden einer mit Schießlöchern versehenen Mauer 100 Kanonen. Kaum haben wir diese Wächter im Rücken, tritt uns breit und hoch sich bis an die Spitze, welche den eigentlichen Hafen mit dem Haupthafen bildet, den Hauptlandungsplatz, ausdehnend, das Fort Nikolas entgegen, in welchem 192 Kanonen in drei Etagen feste Anstellung gefunden haben. Ihm gegenüber erhebt sich auf einem Vorsprunge eine Gesellschaft von 80 Kanonen bis in’s dritte Stockwerk, welche die Bestimmung haben, den sehr engen Tugendpfad in den eigentlichen Hafen und zur Stadt sehr eifrig mit Dornen zu bestreuen. Die andere Seite der Stadt, fast nur aus Docks, Kasernen, Werften und Regierungsanstalten für die Marine bestehend, wird gegen den größeren Hafen noch durch eine starke Batterie geschützt. Von der andern Seite desselben werden die südlichen Kanonengesellschaften noch von sechs Hauptbatterien unterstützt, unter denen die doppelte Batterie mit 34, und vorn auf einem Vorsprunge am Eingange des größern Hafens das Konstantin-Fort mit 104 Kanonen die hauptsächlichsten sind.

Das Alles sieht, besonders wenn man in einer deutschen Gartenlaube sitzt, auch ohne Pulverdampf und tausendweise im Wasser oder in der Luft ihre Gruft findende Leichen fürchterlich aus, zumal, wenn die ganze Ausdehnung des Hafens Abends von den beiden Inkermann-Leuchtthürmen, die ihr Licht über sechs deutsche Meilen weit in’s Meer hinaus senden, erleuchtet wird; aber der Engländer Oliphant, der sich in der Verkleidung eines deutschen Bauern (deren viele um Sebastopol herum die ehemalige Kornkammer Constantinopels, die Krimm, alle Jahre füllen helfen) [272] in die Stadt und die Festungswerke hineinwagte, sagt in seinem Buche darüber, es sei Alles gar nicht so schlimm und weiß der englischen Flotte die totale Zerstörung Sebastopols und der ganzen russischen Marine sehr leicht zu machen. Ginge es nicht mit Gewalt auf dem Wasser durch die Kanonengrüße hindurch, gäbe es doch weiter südlich eine Menge unbeschützte Häfen und Buchten, in welche man hineinlaufen könne, um dann zu Lande und zu Fuße von hinten herum nach Sebastopol zu marschiren, obgleich man in den Häfen und Buchten theils auf Schlamm und Sandbänke, theils auf Felsen stoßen und nach zurückgelegtem glücklichen Landmarsch Schießmauern und Kanonen, Kasernen und unfreundlichen Bergen gegenüberstehen würde, von denen leicht Kanonen und Flinten herabwärts losgehen könnten, während die englischen und französischen Seesoldaten zu Lande mit ihren kurzen muthigen Messern gegen die langen Arme der Kanonen und konischen Spitzkugeln vergebens ankämpfen würden. Da übrigens der Admiral Dundas nicht erst auf diese Nummer der Gartenlaube warten wird, um zu erfahren, wie er Sebastopol nehmen oder nicht nehmen solle, wollen wir uns hier den Kopf nicht weiter mit strategischer Weisheit zerbrechen. Die englische Flotte hat so lange Muße gehabt, daß sie jedenfalls einen feinern Plan ausgesonnen haben wird, als wir vermuthen, wenn sie nicht etwa sprüchwörtlich gehandelt und den Müßiggang zu des Teufels Ruhebank gemacht haben sollte. Als Stadt bietet Sebastopol wenig Interessantes, da das ganze Leben sich auf Soldatenerscheinungen beschränkt, die nur insofern Bürgerliche, darunter einige deutsche Gastwirthe, unter sich dulden, als sie für die Bedürfnisse und die Bequemlichkeiten des Militärs zu sorgen haben.

Zu den größten Sehenswürdigkeiten für nicht militärisch-interessirte und passionirte Leute gehört ein großer Aquaduct, der sich von den Regierungsdocks an der südlichen Seite des großen Hafens als ein 10 Fuß breiter und beinahe drei deutsche Meilen langer Kanal hinzieht und dann parallel mit dem schwarzen Flusse im Inkermannthale (der den Hafen mit Süßwasser aber auch mit dem furchtbaren Süßwasserwurme versieht, welcher ganze Schiffe durchlöchert) hinläuft, um die Communication nach dem Innern der Insel zu erleichtern. An einer Stelle bildet er durch Felsen einen 300 Yards langen Tunnel, der als ein Meisterstück gilt. Die Hohlwege und Höhenzüge und Buchten um den größeren Hafen herum geben der ganzen Gegend ein wildromantisches Gepräge, das sich freilich bei trockenem Sommerwinde zuweilen Meilen weit in den entsetzlichsten Staub auflöst.