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See-Leiden

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Textdaten
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Titel: See-Leiden
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aus: Allgemeiner Harz-Berg-Calender für das Jahr 1851
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Erscheinungsdatum: 1804
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Erscheinungsort: Clausthal
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Quelle: Commons
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[2]
See-Leiden.




     Die Jacht Peggy unter dem Befehl des Kapitäns Harrison segelte von Neu-York im J. 1765 nach der Insel Fayal und lichtete hier, nachdem sie ihre Ladung abgesetzt hatte, am 24. October zur Rückfahrt die Anker. Das Wetter war schön bis zum 29., wo es zu stürmen anfieng und auch einen ganzen Monat lang bis zum 1. December so fortfuhr. Das Takelwerk war dermaßen beschädigt, daß das Schiff nur langsam von der Stelle kam und der Mundvorrath, eine kleine Quantität Brod ausgenommen, ganz aufgebraucht: ein Viertelpfund Brod, ein halbes Maß Wein und ein Maß Waßer auf den Mann war Alles, was Jeder an Bord täglich erhielt.

     Das Schiff selbst war von dem beständigen Kämpfen mit Wind und Wellen in einem sehr schlechten Zustande leck und übel zugerichtet. Die See gieng sehr hoch. Donner und Blitz wollten fast nicht aufhören und die dem Verhungern nahe Mannschaft muste auch noch das Untergehen des Schiffes gewärtigen. Während der Sturm so heftig fortraste, daß alle Möglichkeit der Verbindung mit einem anderen Fahrzeuge abgeschnitten war, hatten sie den Kummer, zwei Schiffe an ihnen vorüberfahren zu sehen, ohne diesen ihre Leiden mittheilen zu können. Sie hatten nichts als die klägliche Aussicht auf den Hungertod vor sich. Mit allgemeiner Zustimmung wurde nun an der seitherigen Brod- und Waßerration noch mehr abgebrochen, bis am Ende das Brod ganz aufgegeßen und vom Waßer nur noch acht Maß unten in einem Faße, und dieses Wenige dazu dick und schmutzig, übrig waren. So lange die Leute zu leben hatten, gehorchten sie willig den Befehlen ihres Vorgesetzten, als aber Alles aufgebraucht war, machten sie ihre Drangsale zu Verzweifelten. Sie tranken den Wein und Branntwein, wurden berauscht und ließen ihre Noth bald in Jammern und Wehklagen, bald in Flüchen und Verwünschungen aus.

     Der Kapitän, dem sie den Bodenschleim der Waßertonne verachtend überlaßen hatten, enthielt sich so viel möglich des Weins und gieng aufs Haushälterischste mit dem elenden Reste der Flüßigkeit um. Mitten in dieser ihrer Verzweiflung erblickten sie ein Segel. Alle starrten begierig nach ihm hin und selbst ihre verzweifelte Stimmung legte sich auf einen Augenblick. Sie zogen eine Nothflage auf, und das fremde Fahrzeug kam ihnen auch um elf Uhr, am Vormittag des Tages, wo man es zuerst gesehen hatte, so nahe, daß sie im Stande waren, ihm ihre klägliche Lage mitzutheilen. Das Wetter war ruhig, und der fremde Kapitän versprach ihnen eine Beisteuer an Brod, da er sonst nichts entbehren könne. Doch selbst mit der Absendung dieser Nothhülfe zögerte der Unmensch, indem er sich eine volle Stunde ganz gleichmüthig mit Aufnahme von Beobachtungen beschäftigte, während [4] die verschmachtende Mannschaft der Pegay mit wirren und beißhunrigen Blicken der verheißenden Nahrung entgegen sah, ohne die sie kaum länger fortzuleben hoffen konnten.

     Kapitän Harrison war zu der Zeit so schwach, daß er das Verdeck vor Hunger und Mattigkeit zu verlaßen sich genöthigt sah; es wurde ihm schwarz vor den Augen, und vom Hunger und von einem starken Schnupfenfieber gleich heftig angegriffen, gieng er in seine Kajüte hinab.

     Kurz darauf kam einer von der Mannschaft in der tödtlichsten Verzweiflung zu ihm hinunter und sagte ihm, das fremde Schiff sei weiter gefahren, ohne ihnen die armselige Beisteuer, die es ihnen versprochen gehabt, zu schicken. Kapitän Harrison kroch wieder aufs Verdeck und sah das Schiff mit frisch beigesetzten Segeln sich entfernen: in fünf Stunden war es den Unglücklichen aus dem Gesicht.

     So lange nur noch das Fahrzeug jenes unmenschlichen Schiffsherrn zu erspähen war, hiengen die armen Bursche auf der Pegay im Takelwerk herum oder rannten in wahnsinniger Angst und Bestürzung von einem Theile des Schiffes zum andern. Ihre Blicke waren gräßlich: ihr Geschrei zerriß die Luft und mußte deutlich von dem Befehlshaber des weiter gefahrenen Schiffes gehört werden, als er wieder unter Segel gieng, da es immer lauter und schneller mit jeder Elle Weges, die die Schiffe von einander kamen, ihm nachschallte. Ihr Jammern und Flehen nahm kein Ende, bis die Verzweiflung ihre Stimmen erstickte, und es nur zu schwachem Gestöhn erstarb. Als sie sich von ihrer grausam getäuschten Hoffnung wieder ein wenig erhellt hatten, blieben sie nicht müßig, sondern sannen unabläßig auf Mittel, ihr Dasein so lange als möglich zu fristen. Sie hatten zwei Tauben und eine Katze an Bord: die ersteren kochten sie zu ihrem Christtagsessen; die Katze wurde den Tag darauf abgeschlachtet und in neun Theile verloost. Der Kopf fiel dem Kapitän zu, der noch nie en so köstliches Mahl genoßen zu haben meinte. Am folgenden Tage [6] fiengen sie am Boden des Schiffs nach Entenmuscheln herumzukratzen an; allein die meisten davon, die zu erreichen gewesen wären, waren von den Wellen weggerißen worden und den Leuten erlaubte ihre Schwäche nicht, lange über die Schiffsseiten herüberzuhängen, um sie zu holen. Die Mannschaft berauschte sich jetzt aufs Neue und machte ihrem Herzeleid wieder in Flüchen und Verwünschungen Luft.

     Der Kapitän fuhr fort, sein elendes Bischen schmutzigen Waßers hinauszuspinnen: eine halbe Flasche davon vermischt mit einigen Tropfen stärkender Arznei, die er unter seinen Sachen fand, war Alles, was er in vierundzwanzig Stunden über die Lippen brachte. Die Schiffsmannschaft machte sich indessen, achtlos gegen Alles in ihrem Verzweiflungswahnsinn, im Sterne Glühwein. Ruhig sah der Kapitän dem Verhängnis, das sie jetzt nichts anfocht, entgegen; der nahende Tod erschütterte ihn nicht, nur der Gedanke an Weib und Kind daheim, die den Versorger verloren, that ihm weh. Dann und wann schmeichelte er sich wohl mit der Hoffnung, daß ein Schiff ihnen zu Gesicht kommen und sie aus ihrer Noth erlösen möge; allein er sah wohl ein, daß es schnell erscheinen müße, denn die Schwäche und der betrunkene Zustand der Mannschaft, verbunden mit der Leckheit des Fahrzeugs, ließ kaum noch ein längeres See-Halten erwarten. An den Pumpen zu arbeiten waren sie zu schwach. Licht hatten sie, bei sechzehnstündiger Nacht, keines, außer dem, was das Glimmen ihres Feuers gewährte. Die Kerzen und das Öl waren sammt und sonders als Nahrungsmittel aufgebraucht worden. Das Schiff rückte etwas vor, bis am 28. December, wo ihr einziges noch ein übriges Segel weggeweht wurde, und nun trieb es, ein Wrack, auf dem weiten Meere. [8] Sechzehn Tage lang, bis zum 13. Januar, fristete die Schiffsmannschaft ihr Leben – wie? ist nicht bekannt – doch am Leben war sie an diesem Tage noch. Am Abend kam der Unterschiffer, die Schiffsmannschaft hart hinter ihm darein, halbbetrunken in die Kajüte. Ihre gräßlichen Blicke und mienen drohten das Entsetzliche. Sie fragten dem Kapitän, so könne es mit ihnen nicht mehr fortgehen; sie hätten ihren Taback aufgebraucht, das Leder an den Pumpen aufgesetzen, ja die Knöpfe von ihren Jacken, und es bleibe ihnen nun kein anderes Mittel, den Hungertod abzuwenden, als durchs Loos antscheiden zu laßen, wer sterben müße, um seiner Kameraden Leben zu fristen. Sie verhofften, der Kapitän werde dem Vorschlag seine Beistimmung geben, und wollten nun seinen Entschluß hören. Der Kapitän suchte sie von ihrem Vorhaben abzubringen, indem er ihnen sagte, daß er, wenn sie die Ausführung ihres Planes bis zum andern Morgen verschieben wollten und wenn bis dahin die Vorsehung nicht ins Mittel getreten sei, die Sache mti ihnen weiter besprechen wolle.

     Das machte sie nur noch ungestümer. Unter Flüchen und Verwünschungen erklärten sie, was geschehen solle, müße mit einem Male geschehen. Sie fragten, es sei ihnen einerlei, ob er mit zustimme oder nicht. Sie hätten ihm die Höflichkeit erzeigt, ihn um seine Meinung anzugehen, allein er könne nichts Besonderes verlangen, denn das Unglück mache Alle einander gleich. Damit verließen sie ihn und begaben sich in einen anderen Theil des Schiffs, kamen aber von da in wenigen Minuten zurück und sagten dem Kapitän, sie hätten um ihr Leben geloost und das Loos sei auf den (zur Ladung des Schiffs gehörigen) Neger gefallen. Sie luden ein Pistol, und als dies der arme Kerl sah, flüchtete er sich zu dem Kapitän, der, wiewohl er nach der übergroßen Schnelligkeit des Verfahrens den Verdacht hegte, daß man mit dme Neger nicht ehrlich umgegangen sei, ihm erklärte, bedauern könne er ihn nur, nicht schützen. Der Neger wurde aufs Verdeck geschlecppt und niedergeschoßen.

     Das Leben war kaum aus ihm gewichen, als sie ein großes Feuer anmachten und dem Todten den Leib aufzuschneiden anfiengen; denn für die Nacht wollten sie, damit er länger dauerte, blos die Eingeweide zubereiten. Einer von der Mannschaft, Jakob Campbell, war so heißhungrig, daß er die Leber herausriß und sie roh verschlang. Bis zum Morgengrauen machten sie sich mit ihrem gräßlichen Mahl zu schaffen, dann giengen sie zu dem Kapitän und fragten ihn, ob sie die Leiche nicht einpöckeln sollten, was jenen so empörte, daß er ein Pistol ergriff und ihnen erklärte, daß, wenn die, die mit einer solchen Anmuthung kämen, nicht augenblicklich die Kajüte verließen, er sie dem Neger nachsenden werde. Die Mannschaft zerschnitt nun den todten Körper, warf den Kopf und die Finger über Bord, richtete ihn gehörig zu und legte ihn in Salzbrühe.

     Drei Tage darauf starb Campbell – derselbe, der die rohe Leber gegeßen hatte – in Raserei. Der Vorfall brachte die Übrigen einigermaßen zur Besinnung, aus Furcht aber, wenn sie von ihrem todten Kameraden genößen, ebenfalls wahnsinnig zu werden, warfen sie ihn über Bord. Am folgenden Tage sprachen die Leute unter einander: „der [10] Kapitän hat uns zwar seine Zustimmung nicht geben wollen, wir wollen ihm aber doch ein Stück Fleisch zukommen laßen.“ Sie schickten ihm nun ein gekochtes Stück in die Kajüte hinunter, allein er wies es mit Abscheu zurück, schalt den Überbringer aus und drohte ihm. Alle Eßlust vergieng ihm vor Übelkeiten bei dem Anblick von Menschenfleich.

     Der todte Neger, an dem aufs Haushälterischste gezehrt worden war, richte vom 17. bis 26. Januar aus. Nun waren sie wieder so schlimm daran, wie vorher. Drei Tage lang hielten sie es aus, dann aber sagte der Unterschiffer, sie hättens hinausgezögert, so lange es ihnen der Hunger erlaubt habe, hülfe sei keine gekommen, und sie müsten nun zum zweiten Male loosen. Es sei doch beßer, – meinten sie – daß Einer nach dem Andern, als daß Alle auf ein Mal stürben, da ja die Überlebenden immer noch gerettet werden könnten. Der Kapitän, der sich nicht aus seinem Bette bewegen konnte, wandte alle Vernunftgründe und Überredungskünste an – allein vergebens. Er bedachte dann, daß man gegen ihn selbst, wenn die Loose nicht in seiner Gegenwart gezogen würden, unredlich zu Werke gehen könnte. Er war eben nur vermögend, sich im Bett so weit aufzurichten, daß er über die gehörige Ordnung beim Ziehen der Loose wachen konnte. Das verhängnisvolle Loos traf dieses Mal einen gewissen David Flat, einen auf dem Schiffe äußerst beliebten Matrosen. Die Bestürzung, die diese Entscheidung bei ihnen Allen hervorbrachte, machte sie eine Weile sprachlos, bis das Opfer, das sich bereitwillig in sein Verhängnis ergab, selbst zu ihnen sagte: „Liebe Kameraden, der einzige Gefallen, um den ich Euch bitte, ist – fertigt mich so ab, wie den Neger, mit so wenig Qualen, als möglich.“ Dann zu [12] Doud (dem, der den Neger getädtet hatte) sich wendend, sagte er: „Ich wünsche, daß Du mich dodtschießt.“ Er erbat sich darauf eine kurze Frist, um sich auf sein Ende vorzubereiten, die ihm auch willig zugestanden ward. Sie zeigten sich sogar geneigt, nicht auf die Schlachtung zu bringen. Allein es blieb ihnen keine Wahl, als – selbst zu sterben. Sie tranken reichnlich Wein und betäubten damit das letzte Gefühlt von Menschlichkeit. Dann trafen sie Anstalten zu der Schrauderarbeit. Sie zündeten ein Feuer an, um das Fleisch des Kameraden, den Alle so gern hatten, zur Fortfristung ihres eigenen elenden Daseins zu kochen und sahen dem Augenblick, wo sie ihn abthun sollten, mit der bittersten, tödlichsten Herzensnagst entgegen. Je näher die Zeit rückte, desto größer wurde ihr Wiederwille. Freundschaft und Menschlichkeit kämpften in ihnen mit Hunger und Tod. Sie beschloßen endlich, der dem Tode Geweihte solle bis ellf Uhr des folgenden Morgens am Leben gelaßen werden, und flehten zu Gott, daß er bis dahin zur Rettung ihres armen Kameraden ins Mittel treten möge. Sie baten den Kapitän, ihnen Gebete vorzulesen, wozu erkaum noch die Kraft hatte. Als sie zu Ende waren, fühlte er sich von einer Ohnmacht angewandelt und sank in seinem Bette zurück. Die Matrosen giengen zu Flat und der Kapitän hörte, wie sie, gar freundlich ihm zusprechend und die Hoffnung äußernd, Gott werde ihn doch noch erhalten, ihm sagten, daß sie auch nicht einen Fisch zu fangen im Stande gewesen seien, sie wollten aber ihre Angeln auslegen und versuchen, ob der Himmel ihnen auf die Art Erleichterung und Hülfe bringen würde. Der arme Flat hatte jedoch keinen Sinn für ihre freundlichen Tröstungen; abgeschwächt bereits, wurde er so fieberhaft aufgeregt, daß er gegen Mitternacht das Gehör und zwei bis drei Stunden später den Verstand verlor und in völlige Raserei verfiel. Wiewohl nun seinen Kameraden der Gedanke kam, daß es eigentlich ein Werk der Barmherzigkeit wäre, ihm in diesem Zustande den Tod [14] zu geben, so entschloßen sie sich doch, da sie einmal ihn bis um ellf Uhr leben zu laßen versprochen hatten, bei ihrem Vorsatze getreulich zu beharren.

     Um acht Uhr des Morgens kamen zu Verwunderung des Kapitäns, der trotz seiner mehr und mehr überhand nehmenden Schwäche immer noch im Stande war, mehr an daß endliche Schicksal seiner armen Matrosen, als an seine eigenen Leiden zu denken, zwei von der Mannschaft in größter Hast in die Kajüte. Mit Ungestüm faßten sie ihn bei den Händen, und blickten ihn starr, unvermögend einen Laut von sich zu geben, an. Es war ihm unmöglich aus ihren, immer unverwandt auf ihn gehefteten Augen zu errathen, was sie denn eigentlich wollten. Er bildete sich anfänglich ein, die nämliche Furcht, die sie bewogen hatte, den todten Campbell nicht zu verzehren, sondern über Bord zu werfen, halte sie auch bei Flat ab; das Schlimmste für sein eigenes Leben ahnend, machte er deshalb seine Hände los und ergriff hurtig ein Pistol in seiner Nähe, um sich zu wehren. Die armen hungergelähmten Bursche bemühten sich, als sie seinen Irrthum inne wurden, ihm begreiflich zu machen, daß sie vom Übermacht ihrer Gemühtsbewegungen bei ihrem abgeschwächten Zustande überwältigt, die Sprache verloren hätten. Der Anblick eines fremden Segels, die Freude, die Überraschung darüber, hatten sie so heftig ergriffen.... Ein großes Fahrzeug – so ergab sich – hatte sich windwärts sehen laßen und zwar in einer Richtung, wie sie sie nur wünschen konnten, gegen sie hersegelnd.

     Die übrige Mannschaft drängte nun den beiden Ersten in die Kajüte nach, ihrem Sagen nach aber schien das Schiff jetzt wieder von ihnen abzusegeln. Bei der bloßen Erwähnung nur von einem Schiffe, das sich sehen laße, gleichgültig, in welcher Richtung es auch steuerte, wußte sich der Kapitän vor Freuden kaum zu laßen. Sobald er wieder so weit zu sich gekommen war, daß er sprechen konnte, sagte er ihnen, sie sollten ja ohne Zeitverlust alle Nothsignale, die sie nur geben könnten, machen. Das Aussehen des Schiffs war an sich schon freilich ein solches konnte aber bei einem Fremden kaum den Gedanken erwecken, daß auf ihm noch lebende Wesen zu retten und zu erhalten seien. Die Schiffsmannschaft that ihr Möglichstes, den empfangenen Weisungen nachzukommen und bald hörte der Kapitän von seinem Bette aus eine Art springender Bewegung auf dem Verdeck und das Geschrei: „Es kommt auf uns zu! es kommt auf uns zu!“ Die Richtigkeit der Sache bestätigte sich mit jedem Augenblicke mehr und die Hoffnungen der Schiffsmannschaft, Beistand zu erhalten, gewannen immer stärkeren Bestand. Doch mitten in ihrem Freudentaumel gedachten ihre wackeren Herzen ihres armen Kameraden Flat. Er konnte ihre fröhlichen Empfindungen nicht mitfühlen.... mitten in der erwartungsvollen Spannung, mit der sie hoffend ihrer [Eridsung] entgegensahen, beklagten sie seinen Zustand. Eine Kanne Wein wurde in Vorschlag gebracht, allein der Kapitän wiedersetzte sich dem, indem er sie versicherte, daß ihre Errettung noch davon abhängen müße, Herren ihrer selbst zu sein, wenn ihre Erretter herankämen. Trotz ihres brennenden Durstes hatten Alle so viel Selbstversagung, [16] sich zurückzuhalten, mit Ausnahme des Unterschiffers, der, unfähig der Versuchung zu wiederstehen, sich bei Seite machte, um zu trinken. Sie fuhren fort, das Schiff mehrere Stunden lang unverwandt mit den Augen zu verfolgen, bis, ihnen wie zur Tantalusqual, der Wind erstarb und es ungefähr zwei Meilen von ihnen windstill lag. Allein – ein tröstender Anblick! – ein Boot stieß von dem Fahrzeug ab und kam, so schnell es nur konnte, zu ihnen hergerudert.

     Ihre Angst, während des Fortrückens des Boots, nach der früheren bitteren Täuschung ihrer Hoffnung auf hülfe, kann man sich denken; Freude, Furcht, Hoffnung, Besorgnis malten sich abwechselnd auf ihren abgezehrten, eingefallenen Gesichtern. Sie waren, so lange nicht das Boot an ihrem Schiffe lag, ihrer Rettung nicht sicher. Der Kampf solcher wiederstreitenden Gemüthsbewegungen in so geschwächten Hüllen war beinahe zu heftig für ihre angegriffenen Körper, bis endlich der Zweifel zur Gewissheit ward, und selbst da noch schien sie kaum Leben und Regsamkeit zu gewinnen. Mit Verwunderung hielten die Fremden bei dem grabähnlichen Aussehen der unglücklichen Leute an, als sie diesen bis auf einige Ellen nahe gekommen waren. Sie vergaßen selbst zu rudern und fragten mit dem hächsten Ausdruck zweifelnden Staunens in Wort und Miene: „Wer seid ihr – seid ihr Menschen?“ Sie kamen an Bord, dießen aber die Mannschaft sich sputen, ihr Schiff zu verlaßen, da sie befürchteten, es möchte ein Sturm heraufziehen und sie dann ihr eigenes nicht wieder erreichen können. Der Kapitän war so schwach, daß er sich nicht rühren konnte, so daß man ihn, mehr einer Leiche als einem lebenden Menschen ähnlich, aufs Verdeck trug und ihn dann mit Seilen in das Boot hinabließ. Die Mannschaft – der unglückliche Flat, stumpf gegen Freude wie Jammer, unter ihnen – folgte nach. Der Unterschiffer fehlte noch immer, und hatte, als man ihn auffand und mitnahm, gerade nur noch so viel Kraft, an die Schiffswand hinzukriechen. Die Kanne Wein hatte bei ihm eine gänzliche Vergeßenheit alles dessen, was diesem Augenblick vorangegangen war, hervorgebracht. Er wurde in das Boot aufgenommen, und in einer Stunde etwa waren sie insgesammt wohlbehalten an Bord des fremden Fahrzeugs – der Susanna, von London, geführt von Thoas Evers. Es war auf dem Heimwege von Virginien nach London. Evers nahm die beklagenswerthe Schiffsmannschaft auf, wie man von einem edelsinnigen Brittischen Seemanne erwarten durfte. Er behandelte sie mit der größten Menschlichkeit und Freundlichkeit. Er legte an dem Wrack bei, um am nächsten Morgen einige Kleider für den Kapitän zu bergen, allein es erhob sich bald ein heftiger Wind, der ihn noch in derselben Nacht weiter zu fahren nöthigte. Sie sahen die Peggy nicht mehr!

     Die Susanne hatte keinen Überfluß an Mundvorräthen, weshalb Jedermann an Bord auf kleine Rationen gesetzt werden mußte, auch war sie Rumpf und Takelwerk übel zugerichtet. Indessen erreichten sie glücklich Landes-End (am 2. März) und fuhren sogleich weiter nach den Dünen, von wo Kapitän Harrison zu Land nach London abgieng. Der Unterschiffer, Doud (der Matrose, der den [18] Neger erschoß) und ein Matrose, Namens Warren, starben unterwegs. Nur drei, außer dem Kapitän, blieben am Leben: sie hießen Ashley, Wentworth und Flat. Ob der Letzte je wieder den Gebrauch seiner Vernunft erhielt, ist unbekannt.