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in dieser Zeitlichkeit zu keiner Gemeinschaft mit Gott komme. Man muß hierauf erwidern, daß Justin dann ohne Grund zum Christenthum übergetreten ist: „Kam es ihm doch in seinen philosophischen Bestrebungen, wie er im Dial. 8 sagt, nur darauf an, in Gemeinschaft mit Gott zu treten (S. 83).“ Diese Hoffnung trog ihn, so lange er Heide blieb; im Christenthum fand er sie verwirklicht, welches ihn zu Gott führte und mit ihm vereinigte (συνάγει καὶ συνίστησι τῷ θεῷ, Dial. 2). Was soll alles Lieben, Dienen, Sichweihen dem Gotte des Heils ohne persönliche Gemeinschaft? Was soll ohne diese das: wir sind durch den Namen Christi, durch den Gekreuzigten zu Gott gekommen, zu Gott geführt worden, was wir im Dialog so oft lesen, und was namentlich an manche Stellen des Hebräerbriefes sehr stark anklingt (11, 17. 30 f.)? Wenn aus dem Ausdruck: ἐγγὺς τῷ θεῷ (S. 133) das Fehlen persönlicher Gemeinschaft geschlossen wird, so könnte dasselbe auch aus dem ἐγγίζειν τῷ θεῷ im Hebr. und Jak.-Brief hergeleitet werden. Auch muß gesagt werden, daß wenn der Gottesbegriff Justin’s eine Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen in diesem Aeon nicht verträgt, nicht abzusehen ist, wie eine solche in jenem zustande kommen soll, da der Mensch ja nicht die Schranken der Endlichkeit im Tode abstreift (461 f.), sondern Mensch bleibt und auch die irdische Leiblichkeit nur ablegt, um mit einer himmlischen bekleidet zu werden. Daß Justin eine Heilsgegenwart überhaupt kennt, haben wir schon erwähnt. Er kennt eine Seligkeit schon jetzt durch die Erkenntniß Christi (εὐδαιμονεῖν Dial. 8); er ist schon jetzt ein Kind Gottes, durch Christum in die Gemeinschaft Gottes hineingezeugt (Dial. 123). Unrichtig erscheint auch im Zusammenhang hiermit die häufige Behauptung, daß σωτήρια nur auf die Zukunft sich beziehe (S. 261); es bezieht sich Dial. 94 auch auf die Gegenwart, wie σώζειν und σώζεσθαι Dial. 64, 74, 111, 133, 94. Das Leiden Christi ist ein μυστήριον σωτήριον Dial. 74. Der Friede der Versöhnung tritt bei Justin allerdings zurück und das christliche Leben wird nicht hieraus ethisch psychologisch abgeleitet; dagegen tritt die Freude als Widerhall der Hoffnung in den Vordergrund (I, 49 ff. cf. Röm. 15, 13). Daß J. die volle Tiefe, Innerlichkeit und Freiheit paulinisch-evangelischen Christenthums nicht erreicht, ist eben so gewiß; dies ist ihm aber nicht allein zum Vorwurf zu machen. Der alten Kirche fehlte die Tiefe persönlichen Christenthums, welche erst auf germanischem

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.10.2017)