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 Harleß ging überhaupt in seiner ganzen geistigen Entwickelung einen sehr selbständigen Weg, einer herrschenden Größe schloss er sich nicht an. Zunächst nahmen ihn philosophische Studien ganz hin. Längst schon hatte ihn die antike Philosophie mächtig angezogen; er beklagte es, dass auf der Universität die rechte Anleitung zu Kenntnis und Verständnis derselben fehlte, da „nur aus den Philosophen des Altertums zu lernen ist, was menschliche Spekulation aus sich heraus vermag“. Von der alten Philosophie wandte sich Harleß zu Schelling, der in den Jaren 1821–1827 in Erlangen gewirkt und hier unmittelbare Spuren seiner Wirksamkeit zurückgelassen hatte. Insbesondere ließen die philosophischen Untersuchungen über das Wesen der Freiheit eine nachhaltige Anregung in ihm zurück. Aber sein Trachten nach Anschauung und Erfarung fand gleichwol durch Schelling nicht die volle Befriedigung. Vorübergehend fesselten ihn Schleiermachers Monologen und seine Reden über die Religion, aber tiefere Förderung gewärten sie ihm nicht. Die Gründe der objektiven Macht der christlichen Religion im Völkerleben und in der Weltgeschichte wollte Harleß verstehen. Hiezu sollte ihm nach seiner Meinung das Studium der Hegel’schen Philosophie verhelfen, für welche in jener Zeit in Erlangen ebenso große Begeisterung als blindes Parteigängertum herrschte. Die gepriesene Versönung des Wissens mit dem Glauben, der Weltweisheit mit dem Christentum wollte er aber je länger je weniger in dieser Philosophie finden. Vielmehr kam Harleß zu der Überzeugung, daß der Reiz, welcher in der wirklichen oder scheinbaren Verquickung christlicher Gedanken mit sogenannt apriorischem Denken liegt und ihn selbst lange Zeit fesselte, weder dem Christentum noch dem spekulativen Denken zu gute komme. Um so mehr drängte es ihn, die Wurzeln Schelling’scher wie Hegel’scher Spekulation in Spinoza zu ergründen.

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 Der Entschluss, sich einem gründlichen Studium des Spinoza zu unterziehen, und freilich noch vieles andere legten Harleß den Gedanken an einen Wechsel der Universität nahe. Das Ergebnis einer mehr als dreijärigen Studienzeit in Erlangen hatte doch ein Gefül tiefer Unzufriedenheit zurückgelassen. Harleß hatte sich in

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Adolf von Stählin: Löhe, Thomasius, Harleß. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1887, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_L%C3%B6he,_Thomasius,_Harle%C3%9F.pdf/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)