Seite:Adolf von Stählin - Mein Bekenntniß beim Abschied 1866.pdf/6

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ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht. Und wenn ich ihn dieß Wort der Gemeinde, die in Rom, im Herzen und Mittelpunkt des weiten römischen Reichs, sich angesiedelt hat, zurufen höre, so ist’s mir, als sehe ich den hohen Apostel, wie er die Fahne des Gekreuzigten aufrollt und alle Welt einlädt, unter dieser Fahne sich zu sammeln, weil unter ihr Sieg und Frieden zu finden. Sein Wort ist das Wort freudigsten Bekenntnisses zu Christo.

 Es ist nun freilich, Geliebte, seitdem der Apostel diese Worte gesprochen, vieles anders geworden, Es ist ein Wunder vor unsern Augen, was geschehen. Das Wort des verachteten Nazareners hat in dieser Welt gesiegt, das Kreuz prangt als Siegeszeichen auf dem weiten Erdenrunde, und das Reich Christi hat die Reiche dieser Welt sich erobert. Aber hat denn etwa das Evangelium aufgehört, der Welt ein Aergerniß und eine Thorheit zu sein? Ist nicht gerade in unsern Tagen der Gegensatz gegen das alte, apostolische Christenthum zu einer noch nie dagewesenen Höhe gestiegen? Hat man nicht während der kurzen Zeit, in der ich unter euch wirkte, vielfach geradezu über Sein oder Nichtsein von christlicher Religion und Kirche verhandelt und gestritten? Blickt doch das Geschlecht der Gegenwart im stolzen Bewußtsein, es so herrlich weit gebracht zu haben, in vermessener Selbstgenügsamkeit, mit der es seines weltbeherrschenden Vermögens sich rühmt und auf die Werke seiner Hände schaut, mit Verachtung und heimlichem Mitleid auf die geringe Gestalt von Christi Reich und Christi Evangelium! Liegt doch Unglaube und Zweifel, oder doch Unsicherheit und Unentschiedenheit in religiösen Dingen recht eigentlich in der Luft der Gegenwart und bildet ein wesentliches Zeichen der Zeit.

 Da thut es ja noth, Geliebte, daß der Diener Christi, so oft er diese heilige Stätte betritt, namentlich aber beim Antritts- und beim Scheidegruß sich selber fragt: Wie stehst denn du in deinem Innersten zu der so viel umstrittenen Sache, zu dem Evangelium von Christo, diesem Zeichen des Widerspruchs? Nun weiß ich wohl, daß ich nichts bin gegen den hohen Apostel.