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Als ich auf des Freiers Pferd stieg,
Brüllten alle Küh’ im Stalle;
Als zur Pforte ich hinausritt,
Wieherten die braunen Pferde.

Ich erkannte meine Liebste
Schon auf eine halbe Meile:
Schneeweiß ihre wollne Decke
Und ihr Kranz wie Silber glänzend.
Ei, verwöhnte Muttertochter,
Jetzt, da wir dich endlich haben,
Sollst du jeden frühen Morgen
Auf das Feld hinaus – zur Arbeit!

Warte, Freier, noch ein Weilchen!
Bald kommt die so lang’ Ersehnte,
Bald kommt die so lang’ Erharrte,
Wie ihm Lenz der Faulbaum blühend,
Wie ihm Lenz die Birke grünend,
Wie die Morgensonne glänzend!

     Ach, was soll ich machen?
     Spring’ ich in den See?
     Die ich so ersehnte,
     Wurde fortgeführt!
Dort auf trübem Wasserspiegel
Weint nach reiner Flut ein Schwan,
Und ich wein’ am Ufersrande
Nach der Herzgeliebten mein …

Lebe wohl, leb wohl, Herzliebste!
Such dir einen andern Burschen,
Such dir einen andern Freier,
Denn mich deckt der Hügel ja!
Komm, besuch mich, Liebchen, dort,
Schau, wie ich so friedlich ruh’!
Komm zu meinem Grab und bring mir
Eine Hand voll Mohnenblüten! –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage: ‚52‘.
Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/25&oldid=- (Version vom 10.1.2019)