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Zigeunern. Ferner aber siedeln im Gouvernement Witebsk 217,000, im Gouvernement Pskow 11,000 und im Kownoschen 26,000 Letten. Diese Zahlen giebt der fleißige, hochbegabte Lettologe Dr. A. Bielenstein an, während der lettische Forscher Gmuding alles in allem 1,700,000 Letten zählt, was eine Bevölkerung ergäbe, die zahlreicher wäre als die des Groß-Herzogtums Baden und nicht viel geringer als diejenige Norwegens. Der größte Teil dieses unglücklichen Volkes besteht freilich auch heute noch aus Bauern, teils selbständigen Hofbesitzern, teils Pächtern und armen, in schwerer Arbeit körperlich und geistig verkümmernden Knechten.




II.
Das Volkslied.


Das lettische Volkslied ist ein in jeder Beziehung durchaus eigenartiges Produkt: Meist als schlichter, reimloser trochäischer Vierzeiler, seltener als Sechs- oder Achtzeiler auftretend, ist es, als schönste Blüte desselben, ganz aus dem realen Leben des lettischen Bauern erwachsen. Es hängt unzertrennlich mit Freud’ und Leid, mit Lieb’ und Haß, mit jeder Art von Arbeit und Hantierung, mit Festen, besonderen Ereignissen, alten Sitten und Gebräuchen zusammen. So gewinnt es dramatisches Leben und wird bei außerordentlichen Gelegenheiten zu einer Art feierlichen Ceremoniells. Die Hochzeiten, die Kindtaufen, die Beerdigungen, wie sie noch vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren, nach altem Herkommen, allgemein gefeiert wurden, bestanden zum Teil aus einer Reihe höchst merkwürdiger, in uraltheidnische Zeit zurückweisender Gebräuche, deren jeder von passenden Liedern begleitet werden mußte. Aber auch die wochentäglichen Arbeiten

Empfohlene Zitierweise:
Victor von Andrejanoff: Lettische Volkslieder und Mythen. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1896, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AndrejanoffLettischeVolkslieder.pdf/7&oldid=- (Version vom 14.8.2016)