Seite:Anmerkungen übers Theater.pdf/6

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da es sich so ganz natürlich aus dem Ursprung des Schauspiels erklären läßt, als welches anfangs nichts mehr gewesen zu seyn scheint, als ein Lobgesang auf den Vater Bachus von verschiedenen Personen zumal gesungen. Auch würden eines so ungeheuren Parterre unruhige Zuhörer wenig Erbauung gefunden haben, wenn die Akteurs ihren Prinzessinnen zärtliche Sachen vorgelispelt und vorgeschluchst, die sie unter den Masken selbst kaum gehört, wiewohl auch heutiges Tags sich zuzutragen pflegt, geschweige. Doch lassen wir das lateinische Departement, Sie werden im Italienischen, Helden ohne Mannheit und dergleichen, da aber Orpheus den dreyköpfigten Cerberus selbst durch den Klang seiner Leyer dahin gebracht, daß er nicht hat muksen dürfen, sollte ein Sänger oder Sängerin nicht den grimmigsten Kunstrichter? Ich öfne also das vierte Departement, und da erscheint – ach schöne Spielewerk! da erscheinen die fürchterlichsten Helden des Alterthums, der rasende Oedip, in jeder Hand ein Auge und ein grosses Gefolge griechischer Imperatoren, Römischer Bürgermeister, Könige und Kayser, sauber frisirt in Haarbeutel und seidenen Strümpfen, unterhalten ihre Madonnen, deren Reifröcke und weisse Schnupftücher jedem Christenmenschen das Herz brechen müssen, in den galantesten

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Jakob Michael Reinhold Lenz: Anmerkungen übers Theater. Weygandsche Buchhandlung, Leipzig 1774, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Anmerkungen_%C3%BCbers_Theater.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)