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dir, daß Waffen dort versteckt seien. Du suchtest erst nur nicht genau genug. Sei ein anderesmal klüger!“

Verto Popakhian, ein Einwohner des Dorfes Khalil Tshaush, erzählte folgende Geschichte, die ein eigentümliches Streiflicht auf die türkische Justiz und das armenische Landleben wirft.

„Ein Kurde, Namens Djundee, versuchte meine Nichte, Nazo, zu entführen. Aber wir brachten sie nach Erzerum und verheirateten sie an einen Armenier. Wir müssen oft die Mädchen verheiraten, wenn sie noch Kinder von 11 und 12 Jahren sind, oder sie in Knabenkleider stecken, um sie vor den Nachstellungen zu schützen. Nazos Gatte war der Sohn des Gemeindepriesters von Herteo. Nun schwuren uns die Kurden Rache, weil wir ihnen das Mädchen entrissen hatten. Djundee schlug meinen Bruder so fürchterlich, daß er fast sechs Monate lang krank war, und er und seine Leute trieben mein Vieh fort, verbrannten unser Korn und Heu und ruinierten uns gänzlich. Als das Mädchen einmal zu Besuch bei uns war, überfielen die Kurden das Haus und entführten es. Wir klagten bei allen obrigkeitlichen Personen am Orte und in Erzerum. Als sie sich endlich entschlossen, das Mädchen zu verhören, hatte sie dem Kurden ein Kind geboren und schämte sich zurückzukehren. Sie blieb Muhammedanerin. Dann kauften wir ein Gewehr, um uns zu schützen, da das Gesetz, welches das Tragen von Feuerwaffen verbietet, noch nicht bestand. Im Jahre 1893 verkauften wir das Gewehr an einen Kurden, namens Hadji Daho, aber 1894 kam die Polizei und verlangte das Gewehr. Wir sagten, wir hätten es verkauft, und der Kurde bestätigte unsere Aussage. Er zeigte es sogar vor. Aber sie verhafteten meinen Bruder und mich und zwangen uns, unsere zwei Ochsen hinzugeben gegen zwei Gewehre, welche sie dann als belastende Beweise für unsere Schuld an sich nahmen. Wir wurden dann in das Gefängnis von Erzerum gebracht. Wir wurden da lange gefangen gehalten und erlitten viele Mißhandlungen. Nach 8 Monaten starb mein Bruder infolge schlechter Behandlung. Dann versprach man mir die Freiheit gegen ein hohes Lösegeld, welches mich an den Bettelstab brachte. Ich hatte keine Wahl, ich gab ihnen alles, was sie verlangten, bis ich und meine Familie, die aus 19 Köpfen bestand, absolut nichts mehr hatten. Und dann verurteilten sie mich zu 5 Jahren Gefängnis.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/182&oldid=- (Version vom 31.7.2018)