Seite:Armenien und Europa. Eine Anklageschrift.pdf/38

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

heilige Oel und Sakrament unter die Füße getreten, die Kreuze heruntergerissen, die Evangelienbücher und Bibeln angespieen, in tausend Stücke zerrissen, in den Straßenkot oder Abort geworfen wurden, ist nur die Staffage zu dem Schauspiel des Vandalismus.

Die bei den Zwangsbekehrungen angewandte Methode war überall die gleiche. Nur der Zeitpunkt war dem Belieben der führenden Männer, Beamten, Offiziere, türkischen Aghas und Effendis oder der Willkür des muhammedanischen Pöbels anheimgegeben. In einigen Städten und Dörfern wurde schon vor dem Ausbruch der Massacres die Wahl gestellt, durch Uebertritt zum Islam das drohende Verhängnis abzuwenden. So in Urfa, wo die Armenier im Falle der Bereitwilligkeit zum Uebertritt aufgefordert wurden, weiße Fahnen auf ihren Dächern aufzuhissen; so in anderen Orten, wo das aufheben des Armes oder eines Fingers als Zeichen der Unterwerfung unter den Islam angeboten wurde und vom Tode errettete. Oft genug waren auch solche Angebote eine Täuschung und wohlhabende und einflußreiche Armenier wurden auch im Falle der Bekehrung nicht geschont. In vielen Fällen fanden die Zwangs-Konversionen schon während der Massacres statt, in den meisten waren sie das unvermeidliche Nachspiel der Massenmorde.

Bei der Androhung nur des Todes hatte es selten sein Bewenden, die Bajonette wurden auf die Brust, die Schwerter an die Kehlen gesetzt: wo dies nichts half, wurden Torturen hinzugefügt. Insbesondere Priester und Prediger, welche sich weigerten, ihren Glauben abzuschwören, mußten die unausdenklichsten Folterqualen erdulden, ehe man ihnen den Gnadenstoß gab. Der Priester Der-Hagop von Charput wurde wahnsinnig, als er, bis aufs Hemd entkleidet, die Schwerter von fünfzig[WS 1] Soldaten auf sich gezückt sah. Was mit ihm machen? Da die Mollahs erklärten, daß der Uebertritt eines Verrückten zum Islam nicht gestattet sei, warf man ihn einstweilen wegen Renitenz ins Gefängnis.

Im Kloster zu Tadem wurden dem greisen Archimandriten Ohannes Papizian auf seine Weigerung, den Islam anzunehmen, zuerst die Hände, sodann die Arme bis zum Ellenbogen abgeschnitten. Als er noch nicht weich wurde, schnitt man ihm auf dem Pflaster der Kirche den Kopf ab. In Biredjik wurde ein Greis, der sich weigerte, seinen Glauben abzuschwören, niedergeworfen, glühende Kohlen auf seinen Leib

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: fünzig
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)