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gehäuft und als er sich in Qualen wand, hielten ihm die Unmenschen eine Bibel vors Gesicht und baten ihn höhnend, einige Verheißungen, auf die er sich verlassen, ihnen vorzulesen.

In Diarbekir wurde die große steinerne Kirche der syrischen Jakobiten, in die sich Massen von Flüchtlingen gerettet, von Kurden umzingelt, hineingeschossen, das Dach aufgebrochen, Brennmaterial und Brandfackeln hinabgeworfen, bis es endlich gelang, die Thür aufzubrechen. Unter dem Jubel des Pöbels wurden die Insassen in dichten Scharen ins Freie getrieben, wo sie ein Kugelregen empfing. Als man den Pastor Jinjis Khatherschian aus Aegypten, der gerade bei seinen Verwandten zu Besuch war, als Geistlichen erkannte, wurde er niedergerissen und bis zur Bewußtlosigkeit mit Knütteln geschlagen. Eins der umherliegenden heiligen Bücher wurde ihm in den Mund gestopft und er höhnend aufgefordert, eine Predigt zu halten. Brände flogen auf ihn nieder, und als der heftige Schmerz ihn aus seiner Ohnmacht weckte, und er wegzukriechen versuchte, faßte man ihn und schleuderte ihn ins lodernde Feuer, wo er verbrannte.

Erinnert es nicht an das Heldentum der Makkabäer, wenn in Urfa eine Mutter, als man ihre Söhne zum Uebertritt zwingen wollte, hinzueilte und sie anflehte: „Laßt euch töten, aber verleugnet den Herrn Jesum nicht!“ und die Standhaften sich mit dem Schwert erwürgen ließen. Frauen und Kinder sind den Männern im Märtyrertum gefolgt. In Bitlis wurden 100 Frauen, nachdem man ihre Männer erschlagen, von Soldaten auf einen Platz geführt. Was antworteten sie, als man ihnen sagte: „Gebt euren Jesus auf, und ihr sollt leben bleiben?“ „Nein, unsere Männer sind für ihn gestorben, und auch wir wollen es thun!“ und alle wurden ermordet.

In Cäsarea war beim Massacre am 30. November ein Protestant und dessen zwölfjährige Tochter allein im Haus, das die Mutter zuvor verlassen hatte. Ein Türke brach in das Zimmer ein, wo das Mädchen saß. „Mein Kind,“ sagte er, „dein Vater ist tot, weil er den Islam nicht annehmen wollte, jetzt muß ich dich zu einer Muhammedanerin machen, und dann will ich dich in mein Haus nehmen, und du sollst gehalten werden, wie meine Tochter. Willst du?“ „Ich glaube an Jesum,“ antwortete[WS 1] das Mädchen, „er ist mein Heiland, und ich liebe ihn! Ich kann nicht thun, was du willst, selbst wenn du mich tötest.“ Darauf fiel der Wüterich mit seinem Schwert über das Kind her und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: anwortete
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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/39&oldid=- (Version vom 31.7.2018)