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mitbringen, daß er die Gaben ohne Unterschied an alle bedürftigen Muhammedaner verteilen könne, dann wolle er ihm dieselben abnehmen. Das ist alles, was wir an Maßregeln der türkischen Regierung zur Linderung des Notstandes haben feststellen können.

Da die Hohe Pforte als eine der Großmächte, die im europäischen Konzert Sitz und Stimme haben, auch den Ehrgeiz besitzt, was die Handhabung der Justiz betrifft, hinter keinem civilisierten Staat zurückzustehen, so fragt man sich billig, was dieselbe gethan hat, um gegenüber dem ungeheuren Maß von Schandthaten, die von ihren eigenen Beamten, Offizieren und Soldaten, von den kurdischen Räubern und dem türkischen Pöbel verübt wurden, ihres Richteramtes zu walten. Wir citieren pflichtschuldigst, was der Botschafterbericht hierüber mitteilt: „Der Gerichtshof in Trapezunt, der eingesetzt wurde, um die Urheber des Verbrechens vom 8. Oktober zu ermitteln, beschränkte sich darauf, den Muhammedanern Ratschläge zu erteilen, während Armenier en masse arretiert wurden, unter dem Vorwande, sie vor den Anschlägen der Muhammedaner zu schützen. Von diesen wurden 8 zum Tode und 25 zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt.“

„In Erzerum wurde der Kurdenscheikh Hussein Pascha Haideranli, obwohl die schwersten Beschuldigungen gegen ihn Vorlagen, zwar berufen, um über seine Ausführung Rechenschaft abzulegen, aber gleichwohl nicht vor das Kriegsgericht gestellt.“ „In Charput wagte die Behörde, da die Offiziere, Soldaten und Gendarmen an der Plünderung teilgenommen haben, nicht gegen irgend jemand einzuschreiten.“ „Die Kommission, welche in Aleppo dem Verwaltungsrat beigeordnet wurde, um die Unruhestifter abzuurteilen, funktioniert in einer kläglichen Weise.“ „Zu Ak-Hissar wurden nach dem Massacre einige Arretierungen vorgenommen, aber mehrere Tscherkessen, und zwar die am meisten kompromittierten, entwischten aus dem Gefängnis, und mit der Bestrafung war es nichts.“

Dies ist alles, was die Botschafter, die über die Haltung der türkischen Behörden nach den Massacres sorgfältig Buch geführt haben, über die Handhabung der türkischen Justiz und die Bestrafung der Schuldigen haben ermitteln können. Doch nein – beinahe hätten wir einen außerordentlichen Fall übergangen. „In Erzerum wurden 200 Plünderer, Türken und Lazen, arretiert, von denen die Behörde,“ wie der Botschafterbericht sich ausdrückt, „hundert füsiliert zu haben behauptet.“

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/93&oldid=- (Version vom 31.7.2018)