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Zur Nachtruhe war uns ein behagliches Fremdenzimmer angewiesen, und der alte Herr hatte es uns gleich von vornherein verboten, die Betten zu verlassen, bevor er selbst bei uns mit dem Morgengruß erschienen wäre. „Studenten schlafen gern lang; das weiß ich.“ Damit wir uns aber nach dem Erwachen nicht langweilten, hatte er uns aus seiner reichhaltigen Bibliothek mit allerlei amüsanter, pikanter Lektüre versorgt, mit der wir uns die Zeit vertrieben, bis unser liebenswürdiger Gastfreund erschien und erst noch eine Weile mit uns plauderte und scherzte. Dann durften wir uns erheben, Toilette machen und zum ersten Frühstück erscheinen, das unser bereits im Wohnzimmer harrte. Für das zweite, konsistentere, wurde unterdes auch schon in der Küche gesorgt, und damit das nötige Getränk dazu nicht fehle, wurde jeden Morgen in aller Frühe ein Knecht mit einer Schiebkarre nach dem nahen Kirchdorf geschickt, um eine gehörige Ladung Flaschen des vorzüglichen, kräftigen Braunbieres zu holen, das dort gebraut wurde, und dem wir nun den ganzen Tag über fleißig zusprechen mußten.

Die Zeit zwischen den zahlreichen Mahlzeiten wurde durch Spaziergänge im Garten oder in den freundlichen Umgebungen des Gutes ausgefüllt, wobei Vater oder Sohn oder auch beide unsre Führer machten. Gegen Abend aber, nachdem wir uns durch eine kräftige „Schweinevesper“ mit obligatem, auf dem Gute selbst hergestellten Schnäpschen gestärkt, ließ der alte Herr anspannen und es ging hinaus in die herrlichen Wälder und an die romantischen Ufer des Drewenzsees, von wo wir erst zum Abendbrote heimkehrten. Nach demselben saßen wir dann noch einige Stunden bei einem Glase kräftigsten „ostpreußischen Maitrankes“ im gemütlichen Familienkreise beisammen und mußten unsern Gastfreunden [85] allerlei Ulk aus dem Studentenleben erzählen, wobei sich alle, der alte Herr voran, köstlich amüsierten.

Unsre getreue Happy aber führte in diesen Tagen ebenfalls ein Leben voller Wonne, wie sie es als Großstädterin vorher nicht gekannt; knüpfte schnell mit allen Gutshunden freundschaftliche Beziehungen an und schwelgte in all den Genüssen, wie sie das Landleben auch einer Hundeseele bietet.

Doch diese für sie und uns so herrliche Zeit verstrich nur zu schnell, und am Morgen des vierten Tages verließen wir, nach herzlichem Abschied und mit Ausdrücken unsers lebhaften Dankes für alle genossene Liebe und Güte unser Eldorado, natürlich auf herrschaftlicher Equipage, die uns nach Osterode führte. Vor dem Scheiden aus Hornberg galt es aber noch, uns dem Dienstpersonal des Hauses für alle mit uns gehabte Mühe durch nobles Trinkgeld zu revanchieren. Mit Zittern und Zagen überzählten wir im stillen Kämmerlein den Inhalt unsrer Kasse, und, Gott sei Dank, er reichte aus, um jeder der betreffenden Personen eine für unsre Verhältnisse anständige Belohnung in die Hand zu drücken. Damit standen wir aber auch dem absoluten Nichts gegenüber! Heinrich plante indes bereits für Osterode weitere finanzielle Operationen, die uns abermals Hilfe in der Not bringen sollten. Bevor wir aber dieses ersehnte Ziel erreichten, hatten wir leider noch eine fatale Klippe zu überwinden, an die wir unterwegs mit wachsendem Unbehagen dachten: das Chausseehaus! Unser Kutscher mußte es doch als selbstverständlich betrachten, daß wir feinen Herren den dort fälligen Obolus entrichten und dies nicht ihm überlassen würden. Welch eine Blamage stand uns also bevor, da wir ja keinen roten Heller in der Tasche hatten! Aus diesem Dilemma gab es nur eine Rettung. Je näher wir der gefürchteten

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Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 84–85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/18&oldid=- (Version vom 17.9.2022)