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Seite:Ausdeved 391715186.pdf/22

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Stundenplan getragen hatte. Er schildert neben verschiedenen anderen einen 141/2 Jahr alten Zögling, der seit 3 Jahren der Anstalt angehörte, aber noch nicht lesen konnte, und Bibelsprüche, die Hauptstücke und das Einmaleins nicht gelernt hatte. „So stand es bei allen Knaben, die bei meinem Eintritte sich seit einem Jahre und länger in der Anstalt befanden u. s. w.“ Er selbst muß aber später erkennen, welche Schwierigkeiten ihm der Unterricht der Verwahrlosten bereitete, indem er schreibt: „In der Schule mit 40 Kindern von so verschiedenem Alter und Kenntnissen, oft bei geschwächten Geistes- und Körperkräften oder böswilligem Charakter das gewünschte Ziel zu erreichen, ist nimmer möglich; selbst zu einer mittelmäßigen Höhe werde ich diese Schule nie zu bringen imstande sein.“ An einer anderen Stelle äußert er: „Im Schulunterricht werde ich oft recht mißmutig durch die geringen Fortschritte, verursacht durch den früheren schlechten Schulbesuch. Die meist wenig beanlagten, ungeschulten Kinder sollen dann in dreiviertel Jahren soviel lernen, als vom 6. – 14. Jahre.“ Bei aller Liebe, die er zu den Kindern offenbar gehabt hat, scheute er sich nicht, die Lüge, die Faulheit, die Unehrlichkeit und die Unreinlichkeit mit großer Strenge zu bekämpfen; denn Kinder, mit solchen Fehlern behaftet, wurden mit umgekehrter Rute oder dem Ochsenziemer gezüchtigt, hatten Gefängnis bei Wasser und Brot bis zu 3 Wochen oder mußten Handschellen tragen. Er bemerkt dazu: „Um schneller mit der Besserung aufgenommener Kinder zum Ziele zu kommen, habe ich gefunden, daß man diesen bald fühlen lassen muß, wie streng hier verfahren wird, man hat dann für die Zukunft viel gewonnen.“

Da Inspektor Seidel, wie aus den Akten wiederholt zu ersehen ist, der gewiß richtigen Ansicht war, daß nur längere Detentionen nachhaltige erziehliche Resultate erwarten lassen, so behielt er einige schwer zu bessernde Kinder 4 – 5 Jahre und länger in der Anstalt. Er beseitigte die Einrichtung, daß die Zöglinge zuweilen, besonders an den hohen Festen, ihre Angehörigen besuchen durften, und richtete seit 1833 die aller 4 Wochen wiederkehrenden Einlaßsonntage ein. Seidel war ferner bestrebt, bessere statistische Unterlagen über die ihm anvertrauten Kinder herbeizuziehen, weil er nach den bisherigen Angaben in den seltensten Fällen in der Lage war, angeben zu können, ob ein Kind das zur Konfirmation berechtigende Alter habe. In seinen ersten Berichten ist er bei den Altersangaben von 54 Kindern nur in der Lage, zu schreiben: ungefähr ? – ? Jahr alt; dabei begegnete es ihm wiederholt, daß der Anstalt Kinder, besonders Mädchen, zugewiesen wurden, die ein Alter von 12 – 13 Jahren haben sollten, in Wirklichkeit aber, wie sich später herausstellte, das 16. Lebensjahr bereits überschritten hatten, und die bei den mangelhaften Vorkehrungen in der Anstalt, nicht vom Verkehre mit den Anstaltsknaben abgehalten werden konnten. Durch unmoralische Kinder aber, die Jahre erreicht hatten, in denen die Erziehung bis zu einem gewissen Grade gefördert und abgeschlossen sein sollte, ward ihm selbstredend das Erziehungsgeschäft außerordentlich erschwert.

Weitere Schwierigkeiten erwuchsen ihm aus dem Mangel hinlänglichen und gewissenhaften Aufsichtspersonals und aus der kaum begreiflich kärglichen Inventarausstattung der Anstalt, unter welcher sein Vorgänger, wie auch sein Nachfolger erheblich zu leiden hatten.

Es will heutigen Tages nicht recht glaublich erscheinen, daß es im Jahre