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Aus der Vergangenheit der Kinderbesserungsanstalt Marienhof zu Trachenberge bei Dresden

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Aus der Vergangenheit der Kinderbesserungsanstalt Marienhof zu Trachenberge bei Dresden (1888) von Bernhard Stiehler
Erschienen in: Henkel Verlag
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Aus der Vergangenheit der Kinderbesserungsanstalt.

Die erste Hausordnung für das am 8. Oktober 1685 in Dresden gegründete Waisenhaus war in Rücksicht darauf entworfen, daß alle in diese Anstalt aufgenommenen Kinder verwahrlost seien. – Nachdem in der am Jüdenteiche (Georgsplatz) gelegenen Wollmanufaktur Wohnräume „zum nötigen Zwang solcher ungeberdigen Jugend“ eingebaut worden waren, ließ der Rat durch Bettelvögte verwahrloste Kinder von der Gasse wegfangen, um dieselben durch Arbeit und Bußübungen zur Ordnung und Gottesfurcht zu erziehen. Je nach dem sittlichen Standpunkte der Pfleglinge unterschied man bald „Zöglinge“ und „Züchtlinge“, für welche letzteren es eine Züchtlingsstube und fünf Zellen gab. Wie groß zeitweilig die Zahl der Züchtlinge war, ist daraus zu ersehen, daß unter den im Jahre 1705 in der Anstalt vorhandenen 145 Insassen sich 85 Züchtlinge befanden.

Leider mußte man wegen Raummangel von dieser Zweiteilung des Cötus bald wieder absehen, weil in das Waisenhaus eine Zuchtanstalt für arbeitsscheue erwachsene Personen verlegt wurde, die bis 1817 bestehen blieb.

Der Mangel einer besonderen Anstalt zur Erziehung der verwahrlosten Kinderwelt Dresdens ward in der Folge immer fühlbarer und veranlaßte die Königliche Landesregierung im Jahre 1825 zu nachstehender Aufforderung an die Armenkommission zu Dresden:

Von Gottes Gnaden, Friedrich August, König von Sachsen etc.

„Rath, liebe getreue. Aus der von euch mittelst Berichts vom 30. v. Monats eingereichten gedruckten Nachricht von dem Fortgange der hiesigen Armenversorgungs-Anstalten auf die Zeit vom 1. May 1824 bis dahin 1825 ergiebt sich, daß, nach Abzug. . . . . . . , und unbeschadet der zu bestreitenden currenten Ausgaben, immer ein nicht unbeträchtlicher Ueberschuß bei den hiesigen Almosenfonds verbleibt.

Wenn nun hierbei in Erwägung gekommen ist, daß es in hiesiger Residenz an einer Anstalt zur Correction und Erziehung verwilderter Kinder und solcher, deren Eltern am Tage über ihren Arbeiten nachgehen und sich mit Erziehung ihrer Kinder nicht befassen können, zur Zeit gänzlich fehlt, und deren Gründung für das allgemeine Beste sehr [4] zu wünschen wäre, so ergeht hiermit, unter Beifügung einer Druckschrift über eine zu diesem Zwecke im Großherzogthume Sachsen-Weimar getroffene Veranstaltung, Unser Begehren an euch, Uns wollet ihr, nach gepflogener sorgfältiger Berathung, euer unmaßgebliches Dafürhalten darüber, ob nicht die Errichtung irgend einer Anstalt dieser Art auf Kosten des Almosenfonds bewerkstelligt werden könnte, und welche Grundsätze dabei zu bestimmen sein würden, mittelst Berichts gehorsamst zu eröffnen.

Daran geschieht Unsere Meinung.“
Gegeben zu Dresden, am 20. October 1825.
Freiherr von Rochow.

An die Armen-Commission allhier.

Die Errichtung innen bemerkter
      Correctionsanstalt betr.

Wie aus vorstehendem Reskripte der Landesregierung, welches die erste Anregung zur Gründung der Kinderbesserungsanstalt gab, zu ersehen ist, sollte dieselbe auf Kosten des Almosenfonds, in dem sich zu jener Zeit ein Überschuß von 19 700 Rthl. vorfand, errichtet werden.

An der vom dirigierenden Kommissar, Hofrat Müller, auf den 22. Februar 1826 einberufenen Sitzung der Armen-Kommission, in welcher die Platzfrage der zu errichtenden Anstalt beraten ward, beteiligten sich außer den dazu geladenen Armenvorstehern nachverzeichnete Herren: Kabinetsminister und Staatssekretär von Einsiedel, Hof- und Justitienrat von Wietersheim, Bankier Kaiser, Justizamtmann Kunad und Stadtsyndikus Moehnert. In dieser Sitzung kam in Bezug auf den Ankauf eines für die Anstalt geeigneten Besitztums besonders das auf dem „Neuen Anbaue“ vor dem „schwarzen Thore“, Badegasse 65 (Antonstadt, Luisenstraße) gelegene Haus- und Gartengrundstück in Frage. Im voraus sei hier erwähnt, daß dieses dem Ingenieur-Premier-Lieutenant Heckel gehörige Haus, nachdem seiten der Armenkommission verschiedene anderweite Erwerbungen in Aussicht genommen worden waren, am 11. Dezember 1827 um den Preis von 5800 Rthl. für die Zwecke der Kinderbesserungsanstalt erkauft wurde.

In einer am 9. März 1826 anberaumten Sitzung kam der vom Direktorium der Armen-Kommission vorgelegte Plan wegen der zu errichtenden Lehr- und Erziehungsanstalt für vernachlässigte Kinder zur Beratung. Es ward hierbei in Erwägung gezogen: 1.) „daß unter den in die Anstalt nach der Bestimmung des Plans aufzunehmenden Kindern auch solche Aufnahme finden sollten, welche bei dem Stadt-Polizei-Kollegio und den Obrigkeiten zur Haft gebracht und von diesen Behörden in Übereinstimmung mit der Armen-Kommission als zur Aufnahme in die Anstalt geeignet gehalten werden; 2.) daß es nicht ausführbar sein dürfte, in der Anstalt auch Kinder beaufsichtigen zu lassen, deren Eltern auf [5] Arbeit gehen und die Kinder zu Hause ohne Aufsicht lassen.“ – Nach dem Reskripte vom 20. Oktober 1825 sollte also der Anstalt die doppelte Aufgabe zufallen, verwahrlofte Kinder zu bessern, dann aber auch durch Aufnahme aufsichtsloser Kinder der Verwahrlosung derselben vorzubeugen, eine Aufgabe, die seiten der damaligen Armen-Kommission als nicht ausführbar bezeichnet wurde und die erst in unserer Zeit in der Gründung der Kinderhorte ihrer teilweisen Lösung entgegen zu schreiten scheint. Die Armen-Kommission war der Ansicht, daß der Wirkungskreis der zu errichtenden Anstalt, wie dies in späteren Berichten noch mehr klargestellt wird, ein dreifacher sein müsse. Sie ward 1. bestimmt zur Detentionsanstalt für Kinder, die sich in Untersuchungshaft befanden; 2. sollte sie als Strafanstalt für verurteilte Kinder dienen, und 3. lag der Schwerpunkt ihrer Thätigkeit in der Korrektion solcher Kinder, gegen welche das Besserungsverfahren eingeleitet worden war. Über die bei Gründung der Anstalt maßgebenden Gesichtspunkte verbreitet sich nun des weiteren der von der Armen-Kommission an die Landesregierung am 30. März 1826 abgegebene Bericht, welcher einleitend Bezug nimmt auf die dem Reskripte beigefügte Schrift des Legationsrats Falk: „Aufruf an die Landstände des Großherzogtums Sachsen-Weimar, an das ganze deutsche Volk und dessen Fürsten.“

Der durch Falk’s Schrift ins Leben getretene Verein der „Freunde in der Not“ hatte sich die Aufgabe gestellt, „aus der Schule Entlassene, die wegen Armut oder anderer Umstände keinen Beruf erwählen, sondern sich dem Vagabondieren, dem Bettel zuwenden und unnütze, gefährliche Mitglieder des Staates werden, zur Erlernung eines nützlichen Gewerbes vermocht werden und entsprechende Unterstützung erlangen“. – Der Bericht besagt, „eine ähnliche Fürsorge habe bei der Armen-Kommission bereits gewaltet, besonders für aus dem Waisenhause Entlassene, deren Erziehung und Fortkommen der Armen-Kommission ausschließlich obliege“.

Die Armen-Kommission erkennt an, daß eine Korrektions-Anstalt für verwilderte Kinder sehr notwendig und von wesentlichem Nutzen sein werde, weil nur in solcher viele Kinder vom gänzlichen moralischen Untergange gerettet werden können, da nicht wenige Eltern unfähig sind, ihre Kinder zu erziehen, weil sie dem Müßiggange, der Bettelei, dem Trunke und anderen Lastern ergeben sind und dadurch denselben ein böses Beispiel geben.

Den andern Zweck, aufsichtslose Kinder zu bewahren, erklärt man deshalb für nicht ausführbar, weil diese im Reskripte gewünschte Maßnahme sich auf viele Hundert Kinder von Tagelöhnern, Gesellen, Herrendienern und verabschiedeten Soldaten erstrecken würde. Es müßten zu diesem Zwecke mehrere Lokale in verschiedenen Stadtteilen mit kostspieliger Einrichtung, Beaufsichtigung und Verpflegung ins Leben gerufen werden, obwohl nicht zu leugnen sei, daß die große Zahl der infolge der Aufsichtslosigkeit verkrüppelten und ungesunden Personen dadurch vermindert werden würde.

Zur Errichtung einer Lehr- und Erziehungsanstalt für verwilderte Kinder erklärt die Armen-Kommission mit den hierzu nötigen Mitteln versehen zu sein. Unter verwilderten Kindern versteht sie solche, die von den Eltern nicht zum Schulbesuche und zu nützlicher Thätigkeit angehalten, auch nicht vom müßigen [6] Herumschweifen, Betteln, Stehlen und von groben Vergehungen abgehalten werden. Bei Kindern bis zum 9. Lebensjahre soll die Besserung durch angemessene Züchtigung der Kinder und nachdrücklich geschärfte Bestrafung der Eltern (Siehe Regulativ § 1, Absatz 5.) erzielt werden. Vom 10. Lebensjahre aber habe Trennung von den Eltern und alsdann Anstaltserziehung einzutreten. Hiergegen bemerkt das Reskript der Landesregierung vom 16. Oktober 1826, welches den im Berichte ausgesprochenen Grundsätzen nicht abgeneigt ist: „Wir wollen euch jedoch vorläufig unverhalten sein lassen, daß, da nicht selten schon bei Kindern von sehr zartem Alter der Keim zum Bösen sich zeigt, und es für deren Besserung geradezu dringend wichtig ist, daß solcher so frühzeitig als möglich ausgerottet werde, in einzelnen Fällen auch solche, die das 10. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, sich zur Aufnahme in die Anstalt eignen dürften.“ In der That ist diese Altersgrenze bis in die neueste Zeit bei Einlieferungen von Kindern niemals innegehalten worden, wenn es auch nicht, wie die Akten früherer Jahrgänge bezeugen, vorgekommen ist, daß erst sechsjährige Kinder schon Aufnahme in der Anstalt fanden.

Weiter stellt der Bericht der Armen-Kommission die Forderung, den Kindern den Verkehr mit ihren Angehörigen zu versagen, Fremde aber nur in Gegenwart des Lehrers zuzulassen, „weil das Gute, das mit mühevoller, wochenlanger Sorgfalt aufgebaut worden ist, durch unzeitige und unüberlegte Worte wieder zerstört werden würde.“

Die Kinder sollen durch Schulunterricht, Spiel, Feld- und Gartenarbeiten und bei unfreundlicher Witterung mit dem Ausbessern ihrer Kleider und Schuhe beschäftigt werden. Wegen letztgenannter Beschäftigungen, die von Lehrmeistern geleitet werden mußten, machte sich die Unterbringung der Anstalt im Weichbilde der Stadt nötig.

Als schwierigste und gefährlichste Periode wird die Zeit nach der Entlassung bezeichnet, weil dann die Kinder mit ihren Angehörigen zusammenkommen und in der großen Stadt schwer zu beaufsichtigen sind. Das Regulativ giebt in § 15 die entsprechenden Maßnahmen zur Leitung und Beaufsichtigung entlassener Zöglinge. Bei der ersten Einrichtung der Anstalt hielt man ein Anstaltspersonal, bestehend aus einem Lehrer, einem Aufseher und einer Wärterin für genügend. „Weil aber von dem anzustellenden Personale und namentlich von dem Lehrer, der nicht allein ein vorzüglicher Lehrer, sondern auch ein erfahrener und kluger Pädagoge sein muß, das Gedeihen der Anstalt allein abhängig ist, so kann auch die Besoldung nicht kärglich zuerteilt werden, daher wir für den Lehrer einen jährlichen Gehalt von wenigstens 300 Rthl. neben freier Wohnung, Holz und Licht, und da derselbe auch die Beköstigung der Kinder mit zu übernehmen haben würde, 30 Rthl. Lohn für eine Köchin in Vorschlag bringen.“ Als Kostgeld für einen Zögling wurden wöchentlich 10 Groschen und für Brot außerdem ein jährliches Bauschale von 240 Rthl. gewährt.

Man bat außerdem: Königliche Majestät wolle den jährlichen Bedarf an Feuerungsmaterial, circa 20 Klaftern Scheitholz und 100 Tonnen Steinkohlen, sowie die Vergütung desjenigen Preises, der für den Scheffel Korn Dresdner Maßes über 2 Rthl. bezahlt werden muß, ferner diesem Institute, wie den übrigen Versorgungsanstalten die Ausbefreiung von allen Konsumtilien, auch da möglich [7] des Mehlgroschens und die Gewährung eines Beitrags aus der Königlichen Kasse zur ersten Einrichtung der Anstalt huldreichst bewilligen.“

Das Reskript vom 16. Oktober 1826 antwortet hierauf: „Wir sind nicht abgeneigt, die Gründung der Anstalt durch Verabreichung der Feuerungs-Materiale zu unterstützen und sie an den sonst den hiesigen Armenversorgungsanstalten zugestandenen Vorteilen und Befreiungen Anteil nehmen zu lassen. Wir nehmen jedoch, zur ersten Einrichtung derselben einen Beitrag aus unseren Kassen zu bewilligen, umsomehr Anstand, als, der geschehenen Anzeige zufolge, der Almosenfonds selbst zur Bestreitung des diesfalls nötigen Aufwandes sich jetzt im stande befindet.“ Durch Verordnung vom 2. Mai 1829 wurden der Kinderbesserungsanstalt vom 1. September 1828 jährlich 16 Klaftern 6/4 weiches Scheitholz von den Königlichen Holzhöfen und 80 Tonnen Steinkohlen aus den Werken im Plauenschen Grunde zugewiesen.

Um die Ausgaben zur Erkaufung eines Grundstücks für die geplante Anstalt zu ersparen, wurde seiten der Landesregierung in Vorschlag gebracht, die 46 Zöglinge des Waisenhauses auf dem „Neuen Anbaue“, im Dresdner Ratswaisenhause (Waisenhausstraße), im Landeswaisenhause zu Pirna und in freier Waisenpflege auf dem Lande gegen Bezahlung unterzubringen, das leergestellte Waisenhausgrundstück aber der Kinderbesserungsanstalt einzuräumen. Auf eine an das Waisenhaus zu Pirna gerichtete Anfrage erklärte man sich daselbst auch zur Aufnahme einiger Zöglinge bereit, vorausgesetzt, daß dieselben mindestens 5 Jahre alt, körperlich gesund und moralisch nicht zu sehr verdorben seien. Allein der Rat zu Dresden konnte sich mit der Unterbringung der Waisenkinder nach auswärts nicht befreunden, weil eine derartige Verwendung des Waisenhauses, welches sich im Besitze namhafter Legate befand, gegen den Sinn der Testatoren derselben sei und die Gefahr nahe liege, daß dann erst kürzlich erhaltene Legate von den noch lebenden berechtigten Erben mit Erfolg ausgeklagt werden konnten, ganz abgesehen davon, daß durch diese Maßnahme eine ungünstige Stimmung im Publikum erzeugt werden müsse.

Es sei ferner ganz unmöglich, sofort 46 Zöglinge anderweit unterzubringen, besonders in Rücksicht auf die von der Verwaltung des Pirnaer Waisenhauses gestellten Bedingungen, denn in der Regel sei der Gesundheitszustand der ins Waisenhaus eintretenden Kinder kein guter wegen der unordentlichen Lebensweise der Eltern, wegen der vernachlässigten Wartung und Pflege, welche diesen Kindern in den ersten Lebensjahren zu teil geworden sei, wegen der unangemessenen Kost, des Mangels an Bewegung und der ungesunden Wohnungen, die kaum zu einem Aufenthalte für Tiere geeignet seien, aber dennoch von armen Eheleuten gemietet würden, weil sie eine leidlich gesunde Wohnung nicht bezahlen könnten.

Weiter giebt der Rat zu erwägen, daß sich auf dem Lande nur Leute finden würden, welche die Kinder nicht aus Liebe, sondern um des äußeren Vorteils willen in ihrer Familie aufnehmen. Erwäge man ferner, wie schwer auf dem Lande ärztliche Hilfe zu erlangen sei und daß nicht selten die Notwendigkeit an den Rat herantrete, alle Kinder einer Familie unterzubringen, so dürfte wohl die Unentbehrlichkeit des Waisenhauses nachgewiesen sein.

Auch der im Reskripte vom 30. März 1827 gewünschte Ankauf eines Landgutes [8] kam nicht zur Ausführung, obwohl Güter in Striesen, Omsewitz, Hoflösnitz, Gorbitz, Laubegast, Gruna, ebenso wie das dem Baron von Limburg gehörige „Antons“ an der Elbe eingehend besichtigt und unter Zugrundelegung der vorhandenen Baulichkeiten entsprechende Baupläne entworfen wurden. Man einigte sich vielmehr in der Sitzung der Armen-Kommission vom 8. November 1827 für den Ankauf des Heckel’schen Grundstückes vor dem schwarzen Thore und zwar, weil man in demselben keine baulichen Veränderungen zur Aufnahme für die Anstalt nötig hatte, weil die Unterhaltungskosten geringe waren, da die Beköstigung der Zöglinge aus dem schrägüberliegenden Waisenhause besorgt werden sollte, endlich aber auch deshalb, weil ärztliche Hilfeleistung und behördliche Beaufsichtigung sehr erleichtert waren. Die Genehmigung zum Ankaufe genannten Grundstückes erteilte hierauf die Landesregierung am 23. November 1827.

Das 131/2 Metzen große Areal des Heckel’schen Grundstückes hatte einen Wert von 400 Rthl. Der Garten, welcher 12 Metzen Grabeland 5. Bodenklasse umfaßte, war 45 Schritt lang und 55 Schritt breit. Das Wohnhaus hatte großen Keller, Erdgeschoß, 2 Stockwerke und ausgebauten Dachstuhl. In dem geräumigen Hofe stand ein Seitengebäude, enthaltend Waschhaus, Holzstall und eine kleine Wohnung. Die Herstellung dieser Baulichkeiten würde nach dem damaligen Zeitwerte annähernd 7000 Rthl. gekostet haben. – Der Lehrer des in der Nähe befindlichen Waisenhauses, Friedrich August Seidel, erhielt nun von der Armen-Kommission den Auftrag, für 6 Knaben und 6 Mädchen die nötige Kleidung zu beschaffen; und die Wirtschafterin des Waisenhauses erklärte die Speisung der Kinder der zu errichtenden Korrektionsanstalt für wöchentlich 8 Groschen den Kopf, ausschließlich des Brotes, unter der Voraussetzung zu übernehmen, daß die Armen-Kommission das nötige Geschirr anschaffe. Der Wirtschafterin wurde für ihre Bemühung bei der Beköstigung der Zöglinge 1/3 des Anstaltsgartens mit der Bedingung überlassen, daß sie für Bebauung desselben selbst Sorge trage. Ein Dritteil des Gartens verblieb der Anstalt und je 1/6 desselben erhielt der Inspektor und der Aufseher. – Beim Kirchenbesuche bekamen die Zöglinge im Nachmittagsgottesdienste der Dreikönigskirche die Plätze angewiesen, welche die Waisenkinder vormittags benutzten.

Nachdem in den Voigt’schen Eheleuten Aufseher und Wärterin gefunden worden waren, handelte es sich nun darum, einen geeigneten Lehrer und Erzieher an die Spitze der Anstalt zu stellen. Von den sich meldenden Bewerbern ließ der Superintendent Dr. Seltenreich nur den Magister Moritz Wege, Katechet zu St. Petri in Leipzig, eine Probe ablegen und berichtete an das Direktorium der Armen-Kommission, daß er an Wege einen geschickten, gewandten und brauchbaren Schulmann gefunden habe. Auf Grund dieser Empfehlung wurde Wege am 5. Juni 1828 gewählt, und es ging ihm folgendes, vom 28. Juni 1828 datiertes Schreiben der Armen-Kommission zu: „An den Katechet zu St. Petri, Mag. Moritz Wege, Hochedelgeboren zu Leipzig. Wir machen dem Herrn Mag. Wege hierdurch bekannt, daß wir demselben die gesuchte Lehrerstelle bei der hier zu errichtenden Erziehungsanstalt für sittlich verdorbene Kinder mit einem Gehalte von 300 Rthl. jährlich, freier Wohnung, Holz und Licht unter dem Vorbehalte einer einvierteljährigen Kündigung, die den sämtlichen bei uns angestellten Lehrern zur Bedingung gemacht ist, übertragen [9] haben, und veranlassen ihn, uns bald thunlichst anzuzeigen, wenn er hier eintreffen und sein Amt antreten kann.“

Die Anstalt wurde interimistisch am 1. August 1828 mit 4 Kindern eröffnet, die den Voigt'schen Eheleuten zur Pflege übergeben wurden. Bis zum Eintreffen des Mag. Wege, der sein Amt am 30. August 1828 antrat, übernahm der Waisenhauslehrer F. A. Seidel die Beaufsichtigung. – Von einer besonderen Feierlichkeit bei Eröffnung der Anstalt scheint man abgesehen zu haben, denn die Akten enthalten über den Amtsantritt des Mag. Wege nur folgende Notiz: „Dresden am 30. August 1828. Dato ist anher zu bemerken, daß Herr Mag. Wege heute angekommen ist und die Verwaltung seines Lehramtes in der neuen Korrektionsanstalt für in der Erziehung verwahrloste Kinder, da dergleichen sich schon interimistisch befinden, sofort angetreten hat. . .“

Nach Vorhaltung des Mandats vom anvertrauten Gute vom 23. März 1823, der Überreichung des Schulplans vom 12. Juni 1823 und des für die Anstalt entworfenen Regulativs vom 12. September 1828 ward Mag. Wege an Amtsstelle am 27. September 1828 verpflichtet.

Der Vollständigkeit wegen und um Einsicht in die erstmalige Organisation der Anstalt zu bieten, möge genanntes Regulativ hier folgen.

Regulativ für die hiesige Korrektions-Anstalt sittlich verwahrloseter und verwilderter Kinder.

Nachdem Se. Königliche Majestät mittelst allerhöchsten Reskriptes vom 16. Oktober 1826, 23. November 1827, 29. Februar und 3. September 1828 die Einrichtung einer Korrektions-Anstalt für vernachlässigte Kinder in hiesiger Residenz zu genehmigen, allergnädigst geruht haben, so ist hierüber folgendes festgesetzt worden:

1.

Diese Anstalt ist zur Aufnahme und Erziehung solcher Kinder bestimmt, welche von ihren Eltern oder den deren Stelle vertretenden Personen verwahrlost, namentlich zu einem fleißigen Besuche der Schule nicht angehalten, sich vielmehr selbst überlassen, zum müßigen Herumschweifen, Betteln oder überhaupt zur Sittenlosigkeit gewöhnt oder wohl gar zu noch größeren Vergehungen verleitet oder doch davon mit Nachdruck nicht abgehalten werden, und daher denselben zur Strafe, sowie zu ihrem eigenen Besten entnommen werden müssen.

Die Entscheidung, welche Kinder in der Anstalt unterzubringen sind, hängt von dem gemeinschaftlichen Ermessen des Stadt-Polizei-Kollegii und der Armen-Kommission ab. Wenn nämlich das Stadt-Polizei-Kollegium nach vergeblicher Anordnung der weiter unten in diesem § geordneten Zwangsmittel die Einlieferung der Kinder für notwendig hält, so hat solches bei der Armen Kommission unter Mitteilung der Akten auf deren Annahme anzutragen, und nach erlangtem Einverständnis derselben, die Aufgreifung und Wegnahme der Kinder zu veranstalten, sowie ihrerseits die Armen-Kommission, dafern ihr bei der Aufsicht über die Armenschulen oder sonst dergleichen verwahrlofte Kinder bekannt werden sollten, bei dem Stadt-Polizei-Kollegio die Verfügung gegen die Eltern oder Erzieher und nach Befinden die Aufgreifung und Wegnahme der Kinder zu veranlassen hat.

Da jedoch auch den hiesigen Obrigkeiten, dem Justizamte oder dem Stadtrate, dergleichen verwilderte Kinder bekannt werden können, so bleibt auch diesen überlassen, bei dem Stadt-Polizei-Kollegio auf die Ergreifung der geordneten Maßregeln, oder, wenn die Zwangsmittel gegen die Eltern oder deren Stelle vertretenden Personen bereits fruchtlos angewendet worden, bei der Armen-Kommission auf Versorgung der Kinder anzutragen.

Weil nun Eltern oder Erzieher, welche ihre Kinder oder Pflegebefohlenen auf die obenbeschriebene Art verwahrlosen, hierdurch eine ihrer heiligsten Pflichten versäumen, dem Gemeinwesen [10] eine Last aufbürden, und auf der andern Seite durch die Wegnahme der Kinder in ihren vorzüglichsten Rechten beschränkt werden, so mag die Einlieferung nur alsdann stattfinden, wenn zuvor wiederholte Zwangs- und Strafmittel gegen die Eltern oder deren Stellvertreter angewendet worden, aber ohne Erfolg geblieben sind, als weshalb folgende nähere Bestimmungen hiermit getroffen werden.

Es sollen nämlich dergleichen Eltern oder Erzieher, nach vorgängiger Erörterung, und wenn sie hierbei nicht gehörig darzuthun vermögen, daß ihre Kinder und resp. Pflegebefohlenen, aller Vorkehrungen ungeachtet von den Schulversäumnissen, dem Betteln und der Sittenlosigkeit nicht abzubringen gewesen seien, wegen der ihnen zur Last fallenden Verwahrlosung derselben

a) das erste Mal mit achttägigem Gefängniszwange bei Wasser und Brot;
b) im Wiederholungsfalle mit acht Tagen dergleichen und körperlicher Züchtigung bis zu fünfzehn Streichen, und
c) das dritte Mal mit ebenso viel Gefängniszwang bei Wasser und Brot und körperlicher Züchtigung von fünfzehn bis zu dreißig Streichen,

oder wenn in Fällen sub b und c die körperliche Büchtigung nicht anwendbar, resp. mit vierzehn Tagen und drei Wochen Gefängnis bei Wasser und Brot, oder mit der Einlieferung in die Zwangs-Arbeitsanstalt und das Spinnhaus bestraft werden.

Die zuvor jedesmal erforderliche Vernehmung solcher Eltern oder Erzieher, sowie die Dekretierung und Vollstreckung der Strafen ist von dem Polizei-Kollegio zu bewirken, auch ist bei Anwendung der körperlichen Züchtigung das § 8 des Mandats wegen der Holzfrevel vom 27. November 1822 (Seite 11 der Gesetzsammlung von 1823) vorgeschriebene Verfahren zu beobachten. Es wird aber, wenn obige Strafen diktiert werden sollen, vorausgesetzt, daß die im Generali vom 4. März 1805, das Anhalten der Kinder zur Schule betreffend, § 7 geordnete Strafen bereits angewendet worden, oder, daß die Eltern oder deren Stellvertreter, abgesehen von den Schulversäumnissen, auf andere Weise die Kinder verwildern lassen.

Haben die vorgedachten drei Grade der Bestrafung bei den Eltern oder deren Stellvertretern feinen Erfolg gehabt, so kann nunmehr mit Einlieferung der von ihnen verwahrlosten Kinder in die Korrektions-Anstalt verfahren werden. In diesem Falle sind aber gleichzeitig die Eltern oder deren Stellvertreter zur Verrichtung von Arbeiten an öffentlichen Plätzen mit Anhängung einer Tafel mit der Inschrift: „wegen Verwahrlosung der Kinder“ anzuhalten, auch ist von ihnen der Aufwand für Beköstigung und Bekleidung der Kinder in der Anstalt oder wenigstens ein Beitrag hierzu, insoweit ein solcher von ihnen zu erlangen, einzubringen, ohne jedoch zu diesem Behufe mit Abpfändung ihrer notwendigen Mobilien oder Verkümmerung ihres Tagelohnes, damit ihnen nicht die Mittel zu ihrer eigenen Subsistenz entzogen werden, zu verfahren. Sind die Eltern oder deren Stellvertreter die Unterhaltungskosten weder ganz noch teilweise zu bezahlen imstande, so werden die Kinder aus dem Haupt-Almosenfonds mit den nötigen Bedürfnissen versehen.

Die Rezeption der Kinder in die Anstalt ist unter obigen Voraussetzungen von der Armen-Kommission zu besorgen, wenn aber außer der Regel die Aufnahme eines Kindes für notwendig erachtet werden sollte, so ist deshalb zuvor an die Landes-Regierung Bericht zu erstatten.

Die Anstalt befindet sich in dem mit Nr. 65 bezeichneten auf dem „neuen Anbaue“ in der Badegasse befindlichen Hause.

2.

Kinder, welche noch nicht neun Jahre alt sind, sollen in der Regel in diese Anstalt nicht gebracht werden, weil sich erwarten läßt, daß durch angemessene Strafe, mit welcher gegen die Eltern, auch nach Befinden die Kinder verfahren wird, die Besserung der letzteren bewirkt werden könne; in besonderen Fällen bleibt es jedoch dem Ermessen der Armen-Kommission überlassen, ausnahmeweise auch jüngere Kinder aufzunehmen.

3.

Die Anzahl der in das Justitut aufzunehmenden Kinder ist vorläufig bis auf dreißig bestimmt.

4.

Die Anstalt steht selbst unter der Aufsicht und Direktion der Armen-Kommission.

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5.

Die in der Anstalt aufgenommenen Kinder dürfen unter keinem Vorwande ohne Aufsicht dieselbe auf kürzere oder längere Zeit verlassen oder ausgehen, sondern sind fortwährend durch die Anstalt abgesondert zu halten und sollen nie mit den Ihrigen oder andern, als dem in der Anstalt angestellten Aufsichtspersonale, oder denjenigen, welche die Inspektion führen, wohin auch die Herren Armenvorsteher und Pfleger gehören, zusammen kommen, daher auch

6.

weder den Eltern, noch den Angehörigen der in der Anstalt detinierten Kinder, noch einem Fremden, zur Abwendung aller Nachteil bringenden Verbindungen, ohne besondere Vergünstigung und erteilten schriftlichen Erlaubnisschein der Armen-Kommission, der Zutritt in die Anstalt verstattet werden.

7.

Diejenigen, welche die Erlaubnis, die Anstalt besuchen zu dürfen, nachweisen, sie mögen Eltern oder Verwandte der in der Anstalt aufgenommenen Kinder oder auch fremde Personen sein, wird eine Unterredung mit dem einen oder dem andern Zöglinge nur mit demselben allein, ohne Beisein anderer Zöglinge und in Gegenwart des nach § 16 angestellten Lehrers, verstattet, dieser aber ist befugt, das Gespräch sofort abbrechen zu lassen, und das Kind, mit welchem es stattfindet, zu entfernen, wenn Gegenstände zur Sprache kommen, welche auf den anwesenden Zögling nachteilig einwirken können, oder wenn heimlich und nicht vernehmlich gesprochen wird.

8.

Die zur sittlichen Besserung in die Anstalt gebrachten Kinder werden nicht nur mit dem nötigen Schulunterrichte, sondern auch mit vollständiger Bekleidung und Wäsche und zwar, soviel erstere betrifft, bestehend in Rock, Weste, langen Beinkleidern, von grau- und schwarzmeliertem Tuche mit schwarzem Tuchkragen im Winter, von leinenem Zeuge aber in den Sommermonaten, sowie mit Halbstiefeln oder Schuhen, auch einer Kopfbedeckung, nicht weniger mit notdürftiger Kost, wie sie die Waisenkinder in dem Waisenhause auf dem neuen Anbaue erhalten, aus welchem sie vorläufig, bis auf weitere Anordnung, in das zu diesem Behufe erkaufte ohnweit demselben gelegene Haus gebracht wird, versorgt.

9.

Der Unterricht der Zöglinge findet nach eben dem Schulplane vom 12. Juni 1823, welcher in dem unter Aufsicht der unterzeichneten Armen Kommission stehenden Waisenhause auf dem neuen Anbaue und den übrigen Armenschulen mit allerhöchster Genehmigung eingeführt ist, statt und erstreckt sich sonach auf Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen, vaterländische Geschichte und Geographie.

10.

Die Schulstunden nehmen in den Sommermonaten früh um 6 Uhr, in den Wintermonaten hingegen früh um 7 Uhr ihren Anfang und werden resp. bis 10 und 11 Uhr ununterbrochen fortgehalten; nachmittags beginnen sie um 1 Uhr und gehen um 4 Uhr, mit Ausschluß der Mittwoch und des Sonnabends jeder Woche, an welchen beiden letzten Tagen kein Schulunterricht erteilt wird, zu Ende.

11.

Nach Ablauf der Schulstunden kann denjenigen Kindern, welche sich durch Fleiß und gutes Betragen auszeichnen, sowohl vor- als nachmittags eine Stunde zur Erholung und zu anständigen, ihrem Alter angemessenen Spielen in dem Hofraume und Garten der Anstalt, jedoch nur unter Aufsicht des Lehrers oder des Wärters, verstattet werden. Nachlässige, widerspenstige und boshafte Zöglinge werden nach dem Ermessen des Lehrers oder des Wärters auf einen oder mehrere Tage von den gemeinschaftlichen Spielen ausgeschlossen und zu irgend einer ihren Kräften angemessenen Beschäftigung, soweit möglich zum Nutzen der Anstalt, angehalten. Auch steht dem Lehrer frei, mit den Zöglingen und in Begleitung der Wärterin zuweilen einen Spaziergang im Freien zu machen, allein er hat zu diesem Vergnügen nur die fleißigsten und [12] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/14 [13] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/15 [14] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/16 [15] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/17 [16] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/18 [17] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/19 [18] Seite:Ausdeved 391715186.pdf/20