Stiehler, Bernhard: Aus der Vergangenheit der Kinderbesserungsanstalt Marienhof zu Trachenberge bei Dresden | |
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steht die Verwaltung der Kinderbesserungsanstalt, zugleich aber auch die Überwachung und Leitung der Erziehung der Kinder zu, daher nur durch uns die Aufnahmeverordnungen zu erteilen sind; daraus folgt aber von selbst, daß auch nur durch uns die Entlassung erfolgen darf.
Diese in der Tendenz der Anstalt überhaupt und in den Ressortverhältnissen insbesondere begründete Rücksicht hat aber die Polizeideputation seither unbeachtet gelassen. Auf Befehl derselben werden oft Zöglinge jener Anstalt abgeholt und entlassen, ohne daß wir zuvor Kenntnis von der beabsichtigten Entlassung erhalten.“
Dem Direktor Höhne begegnete es nicht selten, daß ihm bei Einlieferung der Kinder nicht einmal der Grund der Einlieferung bekannt gemacht wurde. Die Detinierten wurden von der Polizei aus der Anstalt abgeholt, verhört und ohne Mitteilung an den Direktor entlassen. Oft kehrten die Kinder allein vom Verhör zurück und brachten die mündliche Mitteilung, sie seien entlassen.
Die statistischen Notizen der Kinderbesserungsanstalt vom Jahre 1855 zeigen, daß die Gerichtsbehörden 47 Knaben und 19 Mädchen, Sa. 66 Kinder, und die Königl. Polizeidirektion 58 Knaben und 18 Mädchen, Sa. 76 Kinder, Sa. Sa. 142 Kinder einlieferten. Am 16. Februar d. J. wurden von der Polizeidirektion abends 10 Knaben und 7 Mädchen per Omnibus zur Untersuchungshaft in die Anstalt gebracht. Eigentlich würden es 21 Kinder gewesen sein, man war aber genötigt, 4 Hautkranke an demselben Abend dem Stadtkrankenhause zuzuweisen. Bis zum 19. Februar übergab die Polizei der Anstalt noch 6 Kinder. Diese 23 Kinder hatten gebettelt und hausiert, und viele unter ihnen waren körperlich und geistig so zurückgeblieben, daß die 6 – 8jährigen Kinder in der Körpergröße 3 – 4jährigen glichen. Im Jahre 1856 erreichten die Einlieferungen der Polizei die Ziffer 80 und die der Gerichtsbehörden 43, Sa. 123.
Die Kinderwelt der Bezirks- und Armenschulen Dresdens scheint in den Jahren 1855 und 1856 eine auffallende Verwilderung ergriffen zu haben. Ob dieselbe eine Frucht der im Jahre 1855 ins Leben getretenen Reorganisation der Bezirks- und Armenschulen gewesen ist, durch welche der diesen Kindern erteilte Unterricht ein nur halbtägiger wurde, möge dahingestellt bleiben, konstatiert muß aber werden, daß in die Jahre 1855 und 1856 die höchste Frequenz der Anstalt fällt: 186 und 235 Einlieferungen. Als ein unglückliches Zusammentreffen muß es ferner bezeichnet werden, daß im Jahre 1855 die seither vom Rate für die Knaben der Armenschulen unterhaltenen Holzarbeitsanstalten, in welchen die Kinder für die Stunde 1 Pf. und täglich 1/2 Pfd. Brot erhielten, aufgelöst wurden, da wegen Wegfalls der Brotspende die Benutzung eine sehr geringe geworden war.
Der Rückblick auf jene Zeit bestätigt die Erfahrung des Verfassers, daß kurze Freiheitsstrafen meist nicht geeignet sind, in den Schuldigen den Entschluß der Besserung aufkommen zu lassen. Die geringe Fühlbarkeit der Strafe läßt dieselbe kaum fürchten, während die geregelte Verpflegung den Aufenthalt in der Anstalt manchen wohl gar begehrenswert erscheinen läßt. Direktor Höhne erinnert sich eines Knaben von ziemlich guter Geistesbefähigung und nicht bösartigen Charakters, der in wenig Jahren neunzehnmal monate-, wochen- und tageweise eingeliefert wurde und der trotz der vielen Strafen ein Taugenichts geworden
Stiehler, Bernhard: Aus der Vergangenheit der Kinderbesserungsanstalt Marienhof zu Trachenberge bei Dresden. Henkel, Dresden 1888, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ausdeved_391715186.pdf/31&oldid=- (Version vom 3.1.2025)