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nur das Thor, das vor dem Helena-Altar aus dem nördlichen Seitenschiff in den alten Kreuzgang führte, erweitern, sondern auch das große vermauerte Portal der Westfaçade aufbrechen und mit hölzernen Thürflügeln versehen. Meister Volquinus mußte den Taufbrunnen, welcher in der Portalnische stand, auf die rechte Seite versetzen und die Bänke der Frauen, sowie die kleinen Sitze der Kinder aus der Kirche entfernen. Auf dem Kirchhofe, der vor der Westfaçade sich ausdehnte, ließ Vaick einen breiten Weg ebnen. Auffallend ist, daß er, um Luftzug zu erhalten, eine Anzahl von Scheiben aus den kleinen Fenstern der alten romanischen Kirche und selbst aus den großen Chorfenstern heraushob[1].

     Zur Ausschmückung des Innern lieh der Herzog von Cleve ihm seine Wandteppiche und ließ dieselben durch seine Diener an den Wänden des Chores und der Kirche aufhängen[2].

     II. Am 12. August begann die Festzeit. Ungeheure Volksmassen strömten zusammen und drängten sich in die geräumige Kirche. Der Kanonikus Johann von Thigel (Ziegel) bestieg die Kanzel und hielt eine glanzvolle Lobrede auf den hl. Victor, die von 11–1 Uhr dauerte und fast Alle bis zu Thränen rührte. Als der Prediger geendet hatte, begannen alle Glocken der Stadt und alle Schellen der Kirche zu läuten. Die Kanoniker und Kleriker ordneten sich, um in Procession zum Hochaltar zu ziehen, in dessen Mitte hoch oben der goldene Schrein mit den Gebeinen ihres heiligen Patrons thronte. Vier der Stärksten – „Riesen ihrer Zeit“ nennt der alte Berichterstatter sie – stiegen hinauf, hoben den Schrein aus seinem Behälter und stellten ihn auf den Altartisch. Als er dort stand, fielen alle, die im Chore und in der Kirche versammelt waren, auf ihre Kniee, und der Vorsänger (Exordiarius) stimmte die Antiphon an: Ave miles invictissime. Dann wurde der Schrein vom Altare herabgenommen und auf ein reich geschmücktes Gerüst gestellt, das Theodorich Daems, der Schreinermeister der Kirche, in der Mitte des hohen Chores aufgebaut hatte. Es war 6 Fuß lang, 2 Fuß breit und bekleidet mit kostbaren, golddurchwirkten Tapeten, die bis zum Boden herabhingen. An jeder Langseite standen je drei goldene und silberne Kreuze, die mit

  1. * Heimeric. fol. 20. bis. Plures pro aeris libertate per chorum et ecclesiam evacuatae fenestrae.
  2. Die Baurechnungen notiren 1 rheinischen Gulden und 7 Weißlinge für die Beköstigung der herzoglichen Diener, und 3 Goldgulden als Trinkgeld, im Ganzen 5 Mark. Ebensoviel erhielten später die Sänger des Herzogs, die bei der Feier mitwirkten.
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Beissel: Die Victortracht des Jahres 1464 In: Die Bauführung des Mittelalters. Studie über die Kirche des hl. Victor zu Xanten. Freiburg im Breisgau: Herder, 1889, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beissel_%E2%80%93_Die_Victortracht_des_Jahres_1464.djvu/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)