Walter Benjamin: Das Leben der Studenten. In: Der Neue Merkur 2, S. 727–737 | |
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dem Eros, der ihm ursprünglich eignete, nicht gefragt. Ihm mußte es fraglich werden, ob Zeugung und Schöpfung in ihm getrennt bleiben sollten, ob die eine der Familie, die andere dem Amte zukomme, und in ihrer Trennung beide verbildet, keines aus seinem eigentümlichen Dasein entspringen sollte. Denn so hohnvoll und schmerzhaft es ist, eine solche Frage an das Leben heutiger Studenten heranzuführen, so muß es geschehen, weil in ihnen – dem Wesen nach – diese beiden Pole menschlichen Daseins in der Zeit zugleich liegen. Es handelt sich um die Frage, die keine Gemeinschaft ungelöst lassen kann und die doch seit den Griechen und frühen Christen kein Volk mehr in der Idee gemeistert hat; immer lastete sie auf den großen Schaffenden: wie sie dem Bilde der Menschheit genügen sollten und Gemeinschaft mit Frauen und Kindern ermöglichten, deren Produktivität anders gerichtet ist. Die Griechen, wie wir wissen, übten Gewalt, indem sie den zeugenden Eros dem schaffenden nachstellten, so daß endlich ihr Staat, aus dessen Inbegriff Frauen und Kinder verbannt waren, zerfiel. Die Christen gaben die mögliche Lösung für die civitas dei: sie verwarfen die Einzelheit in beiden. Die Studentenschaft hat es in ihren fortgeschrittensten Teilen immer bei unendlich ästhetisierenden Betrachtungen über Kameradschaftlichkeit und Studiengenossinnen gelassen; man scheute sich nicht, eine „gesunde“ erotische Neutralisierung der Schüler und Schülerinnen zu erhoffen. In der Tat ist mit Hilfe der Dirnen die Neutralisierung des Eros in der Hochschule gelungen. Und wo sie ausblieb, ist jene so ganz haltlose Harmlosigkeit, jene schwüle Heiterkeit ausgebrochen, und die burschikose Studentin wird als Nachfolgerin der häßlichen alten Lehrerin jubelnd begrüßt. Hier drängt sich die allgemeine Bemerkung auf, wieviel mehr furchtsamen Instinkt die katholische Kirche für die Macht und Notwendigkeit des Eros hat, als das Bürgertum. Es liegt an den Hochschulen eine ungeheure Aufgabe verschüttet, ungelöst, verleugnet; größer als die zahllosen, an denen die soziale Geschäftigkeit sich reibt. Es ist die, aus dem geistigen Leben heraus zur Einheit zu bilden, was an geistiger Unabhängigkeit des Schaffenden – im Korpsstudententum – und an Liebe des Schaffenden zur Frau – in der Prostitution – verzerrt und zerstückelt als Torso des einen geistigen Eros uns traurig ansieht. Die notwendige Unabhängigkeit des Schaffenden und die notwendige Einbeziehung der Frau, welche nicht produktiv im Sinne des Mannes ist, in eine einzige Gemeinschaft Schaffender – durch Liebe –, diese Gestaltung muß allerdings vom Studenten verlangt werden, weil sie die Form seines Lebens ist. Hier aber herrscht so mörderische Konvention, daß noch nicht einmal das Studententum sein Schuldbekenntnis an der Prostitution abgelegt
Walter Benjamin: Das Leben der Studenten. In: Der Neue Merkur 2, S. 727–737. Müller, München und Berlin 1915, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Benjamin_Das_Leben_der_Studenten.djvu/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)