mir keinen Gatten wählen – das stand fest. Überhaupt hatte ich keine Eile, meine Freiheit, die mir so wohl gefiel, wieder aufzugeben. Ich wußte meine seinwollenden Freier so in Entfernung zu halten, daß keiner einen Antrag wagte und daß auch niemand in der Gesellschaft das kompromittierende Wort von mir sagen konnte: „Sie läßt sich den Hof machen.“ Mein Sohn Rudolf sollte einst auf seine Mutter stolz sein dürfen – keinen Hauch des Verdachtes auf dem blanken Spiegel ihres guten Rufes vorfinden. Wenn jedoch der Fall einträte, daß mein Herz von neuem in Liebe erglühte – es konnte nur für einen Würdigen sein – dann war ich ja geneigt, das Anrecht, welches meine Jugend noch auf irdisches Glück besaß, geltend zu machen und eine zweite Ehe einzugehen.
Unterdessen – von Liebe und Glück abgesehen – war ich recht guter Dinge. Der Tanz, das Theater, der Putz: an alledem fand ich ein lebhaftes Vergnügen. Dabei vernachlässigte ich weder meinen kleinen Rudolf noch meine eigene Ausbildung. Nicht, daß ich mich in gründliche Fachstudien vertiefte; aber über die Bewegung der Geister erhielt ich mich stets auf dem Laufenden, indem ich mir die hervorragendsten neuen Erscheinungen der Weltlitteratur anschaffte und regelmäßig sämtliche Artikel, auch die wissenschaftlichen, der „Revue des deux Mondes“ und ähnlicher Zeitschriften aufmerksam las. Diese Beschäftigung hatte freilich zur Folge, daß die vorerwähnte Schranke, welche mein Seelenleben von der mich umgebenden Junge-Herrenwelt abschloß, immer höher wurde – aber das war
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/081&oldid=- (Version vom 31.7.2018)