eine Hälfte davon – die Sorgenhälfte – war mir geschwunden. Die Kriegsgefahr und die mir bevorstehende Gefahr hatte ich vergessen: ich wußte nur, daß ich lebte, daß die Rosen – nach dem Rhythmus des Reveille-Signals – betäubend süße Düfte hauchten; daß mein geliebter Mann jede Minute hereinkommen konnte und, wenn er mich schlafen sähe, nur ganz leise träte, um mich nicht zu wecken. Und richtig: im nächsten Augenblick öffnete sich die mir gegenüberliegende Thüre. Ohne die Lider zu heben – nur durch eine linienbreite Spalte unter den Wimpern – konnte ich sehen, daß es der Erwartete war. Ich machte keinen Versuch, mich aus meinem Halbschlummer herauszureißen – dadurch hätte ich möglicherweise das ganze Bild verscheuchen können, denn vielleicht war die Erscheinung an der Thür nur ein fortgesetzter Traum, und vielleicht träumte ich nur, daß ich die Lider linienbreit geöffnet … Jetzt schloß ich dieselben ganz und gab mir Mühe weiter zu träumen, daß der Teuere näher kommt – sich herabbeugt und mir die Stirne küßt …
So geschah es auch. Dann kniete er neben mein Lager nieder und blieb eine Weile regungslos. Noch immer dufteten die Rosen und trarate das ferne Hornsignal …
„Martha, schläfst Du,“ hörte ich ihn leise fragen.
Da schlug ich die Augen auf.
„Um Gotteswillen, was ist’s?“ rief ich, zu Tode erschreckt – denn das Antlitz des an meiner Seite knienden Gatten war von so tiefer Trauer übergossen, daß ich mit einemmal erriet, es sei ein Unglück hereingebrochen.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/215&oldid=- (Version vom 31.7.2018)