Friedrich hatte vor seiner Abreise noch an Tante Marie telegraphiert, daß ich ihrer Pflege bedürfe, und sie kam einige Stunden später bei mir an. Sie fand mich bewußtlos und in großer Gefahr.
Mehrere Wochen schwebte ich zwischen Leben und Tod. Mein Kind war am Tage seiner Geburt gestorben. Der moralische Schmerz, den mir der Abschied von dem geliebten Manne verursacht hatte – gerade in dem Zeitpunkt, wo ich aller Kräfte bedurft hätte, um den physischen Schmerz zu bewältigen – durch den war ich widerstandsunfähig geworden, und es fehlte nicht viel, so wäre ich unterlegen.
Meinem armen Manne mußte der Arzt, seinem eidlichen Versprechen gemäß, den traurigen Bericht schicken, daß das Kind gestorben und die Wöchnerin in Todesgefahr sei.
Was die Nachrichten betraf, die von ihm anlangten, so konnten mir dieselben nicht mitgeteilt werden. Ich kannte niemand und delirierte Tag und Nacht. Ein sonderbares Delirium. Ich habe davon eine schwache Erinnerung in das zurückgekehrte Bewußtsein mit hinübergenommen – aber dies mit vernünftigen Worten wiederzugeben, wäre mir unmöglich. In dem anormalen Wirbel des fiebernden Hirns bilden sich eben Begriffe und Vorstellungen, für welche die dem normalen Denken angepaßte Sprache keine Ausdrücke hat. Nur so viel kann ich andeuten – ich habe das phantastische Zeug in die roten Hefte einzuzeichnen versucht –: daß ich die beiden Ereignisse, den Krieg und meine Niederkunft, miteinander verwechselte; mir war, als wären Kanonen
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/223&oldid=- (Version vom 31.7.2018)