und blanke Waffen – ich fühlte deutlich die Bajonettstiche – das Werkzeug der Geburt und als läge ich da, das Streitobjekt zwischen zwei aufeinander losstürmende Armeen … Daß mein Gatte fortgezogen, wußte ich; doch sah ich ihn in Gestalt des toten Arno, während Friedrich an meiner Seite, als Krankenwärterin verkleidet, den silbernen Storch streichelte. Jeden Augenblick erwartete ich die platzende Granate, welche uns alle drei – Arno, Friedrich und mich zersplittern sollte, damit das Kind zur Welt kommen könne, welches bestimmt war, über Dänewig, Schlesstein und Holmark zu regieren … Und das alles that so unsäglich weh und war so überflüssig … Es mußte doch irgendwo jemand geben, der es hätte ändern und aufheben können, der diesen Alp von meiner Brust und von der ganzen Menschheit mittelst eines Machtwortes hätte abwälzen können – und die Sehnsucht verzehrte mich, diesem jemand mich zu Füßen zu werfen und zu flehen: Hilf ab – aus Barmherzigkeit, aus Gerechtigkeit hilf ab! – Die Waffen nieder – nieder!!
Mit diesem Ruf auf den Lippen erwachte ich eines Tages zum Bewußtsein. Mein Vater und Tante Marie standen am Fuße des Bettes, und beschwichtigend sagte mir der erstere:
„Ja, ja, Kind, sei ruhig, – alle Waffen nieder –“
Dieses Wiedererlangen des Ichgefühls nach langer Geistesabwesenheit ist doch ein eigentümlich Ding. Zuerst die frohe erstaunte Wahrnehmung, daß man lebt und dann die gespannte, an sich selber gerichtete Frage: wer man eigentlich sei …
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/224&oldid=- (Version vom 31.7.2018)