Jetzt folgte eine Zeit der schwankenden Hoffnungen und Befürchtungen. Heute hieß es „der Friede gesichert“, morgen – „der Krieg unvermeidlich“. Die meisten Leute waren letzterer Ansicht. Nicht so sehr, weil die Verhältnisse auf die Notwendigkeit eines blutigen Austrages wiesen, als deshalb, weil, wenn das Wort „Krieg“ einmal gefallen, wohl noch sehr lange hin und her debattiert werden kann, aber erfahrungsgemäß das Ende jedesmal Krieg ist. Das kleine, unscheinbare Ei, welches den „Casus belli“ enthält, wird da so lange ausgebrütet, bis das Ungetüm hervorkriecht.
Täglich zeichnete ich in die roten Hefte die Phasen des schwebenden Streites auf und so wußte ich damals, und weiß noch heute, wie der verhängnisvolle „66er Krieg“[WS 1] sich vorbereitet hat und wie er ausgebrochen ist. Ohne diese Eintragungen wäre ich wohl über das betreffende Stück Geschichte in derselben Unkenntnis, in welcher die meisten, inmitten der Geschichtsabspielung lebenden Menschen sich befinden. Gewöhnlich weiß die große Mehrzahl der Bevölkerung nicht, warum und wie ein Krieg entsteht – man sieht ihn nur eine Zeit lang kommen – dann ist er da. Und wenn er da ist, so frägt man schon gar nicht mehr nach den kleinen Interessen und Meinungsverschiedenheiten, die ihn herbeigeführt, sondern ist nur noch mit den gewaltigen Ereignissen beschäftigt, die sein Fortgang mit sich bringt. Und ist er einmal vorüber, so erinnert man sich höchstens der dabei persönlich erlebten Schrecken und Verluste – beziehungsweise Gewinne und Triumphe – aber an die politischen Entstehungsgründe wird nicht
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Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 1, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/302&oldid=- (Version vom 31.7.2018)