Sonne brannte, als wollte sie uns das Hirn zum Sieden bringen; dazu der schwere Tornister, das schwerere Gewehr auf den wundgewetzten Schultern … und doch, es hat Keiner gemurrt. Aber hingefallen sind ein paar, und konnten nicht wieder aufstehen. Zwei oder drei erlagen dem Sonnenstich und blieben gleich tot. Ihre Leichen wurden auf einen Ambulanzkarren geladen.
Die Juninacht, so mond- und sterndurchleuchtet, so warm sie auch ist, ist doch entzaubert. Man hört keine Nachtigallen und keine zirpenden Grillen; man atmet keine Rosen- und Jasmingerüche. Die süßen Laute werden durch die scharrenden und wiehernden Pferde, durch die Stimmen der Leute und das Geräusch der Patrouillenschritte unterdrückt; die süßen Gerüche durch Juchten-Sattelzeug- und sonstige Kasernenausdünstungen überduftet. Aber das ist noch Alles nichts: noch hört man nicht festende Raben krächzen, noch riecht man nicht Pulver, Blut und Verwesung. Das Alles kommt erst – ad majorem patriae gloriam. Merkwürdig, wie blind die Menschen sind! Anläßlich der einst „zur größeren Ehre Gottes“ entflammten Scheiterhaufen brechen sie in Verwünschungen über blinden und grausamen, sinnlosen Fanatismus aus, und für die leichenbesäeten Schlachtfelder der Gegenwart sind sie voll Bewunderung. Die Folterkammern des finsteren Mittelalters flößen ihnen Abscheu ein – auf ihre Arsenale aber sind sie stolz … Das Licht brennt herab, die Gestalt in jener Ecke hat sich verflüchtigt
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/035&oldid=- (Version vom 31.7.2018)