nun das Martyrium einer mehrere Tage und mehrere Nächte langen Agonie: in der sengenden Hitze des Mittags, in den schwarzen Schauern der Mitternacht, gebettet auf Steinen und Disteln, im scharfen Verwesungsgeruch der naheliegenden Leichen und der eigenen faulenden Wunden, den festenden Geiern zur noch zuckenden Beute …“
Das war eine Reise! – Der Regimentsarzt hatte schon lange aufgehört zu sprechen, aber die Auftritte, welche er geschildert, fuhren unausgesetzt fort, vor meinem inneren Auge sich abzuspielen. Um diesem mich verfolgenden Gedankenreigen zu entgehen, schaute ich zum Wagenfenster hinaus und versuchte, im Anblick der Landschaft Zerstreuung zu finden. Aber auch hier boten sich dem Blicke Bilder des Kriegsjammers. Zwar hatte in dieser Gegend keine gewaltsame Verwüstung stattgefunden: es rauchte da kein zerschossenes Dorf, hier hatte „der Feind“ noch nicht gehaust; aber was hier nun wütete, ist vielleicht noch schlimmer: nämlich die Furcht vor dem Feinde. „Die Preußen kommen! die Preußen kommen!“ war die Schreckenslosung auf der ganzen Strecke; und wenn auch im Vorbeifahren diese Worte nicht zu hören waren, ihre Wirkung konnte man vom Wagenfenster aus deutlich erschauen. Überall auf allen Straßen und Wegen fliehende, mit Sack und Pack ihr Heim verlassende Menschen. Ganze Wagenzüge bewegten sich landeinwärts
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/071&oldid=- (Version vom 31.7.2018)