andere Stimme begann jetzt nach mir zu rufen, andere Arme breiteten sich mir entgegen: Rudolf, mein Sohn – wie würde der nach der „Mama“ gefragt haben und nicht haben einschlafen können, ohne den mütterlichen Gutenachtkuß … Wohin würde ich mich hier wenden, wenn ich Bresser nicht fände? Und die Hoffnung, ihn zu finden, war mir plötzlich so gering geworden, wie unter hunderttausenden von Losen die Hoffnung auf einen Haupttreffer. Zum Glück hatte ich mein Täschchen mit dem Gelde – der Besitz von Banknoten bietet immer Auskunftsmittel. Unwillkürlich griff ich an die Stelle, wo das Täschchen hängen sollte … Großer Gott! Der Riemen, an welchem es befestigt gewesen, abgerissen – das Täschchen fort – verloren! … Welcher Schlag! Und doch, ich brachte es zu keiner Anklage gegen das Schicksal; ich vermochte nicht, zu jammern: „Zufall, wie hart triffst du mich“, denn in einer Zeit, wo rings das Unglück hagelte, über das eigene Unglückchen klagen, da hätte man vor sich selber sich seiner Selbstsucht schämen müssen. Und zudem: für mich gab es nur eine schreckliche Möglichkeit: Friedrichs Tod – alles Andere war nichts.
Ich musterte alle Anwesenden: kein Doktor Bresser.
Was nun beginnen? An wen mich wenden? Ich hielt einen Vorübergehenden an:
„Wo kann ich den Stationschef finden?“
„Sie meinen den Dirigenten der hiesigen Krankenstation, Stabsarzt S.? Dort steht er.“
Den hatte ich zwar nicht gemeint, aber vielleicht konnte er mir Auskunft über Doktor Bresser geben.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/078&oldid=- (Version vom 31.7.2018)