Ich näherte mich der bezeichneten Stelle. Der Stabsarzt sprach eben mit einem vor ihm stehenden Herrn:
„Es ist ein Elend“, hörte ich ihn sagen. „Man hat hier und in Turnau Depots für alle Hospitäler des Kriegsschauplatzes errichtet; die Gaben strömen massenhaft zu – Wäsche, Lebensmittel, Verbandzeug so viel man will – aber was damit beginnen? Wie abladen – wie sortieren – wie weitersenden? Es fehlt uns an Händen – wir würden hundert rührige Beamte brauchen –“
Schon wollte ich den Stabsarzt ansprechen, als ich einen Mann auf ihn zueilen sah, in dem ich – o Freude – Doktor Bresser erkannte. In meiner Erregung fiel ich dem alten Hausfreund um den Hals.
„Sie? Sie, Baronin Tilling? Was machen Sie denn hier?“
„Ich bin gekommen, zu helfen, zu helfen … Ist Friedrich nicht in einem Ihrer Spitäler?“
„Ich habe ihn nicht gesehen.“
War mir diese Nachricht Enttäuschung oder Erleichterung? – Ich weiß es nicht. Er war nicht da … also entweder tot oder unversehrt … übrigens, Bresser konnte unmöglich alle Verwundeten der Umgebung erkannt haben – ich mußte selber alle Lazarethe absuchen.
„Und Frau Simon?“ fragte ich weiter.
„Die ist schon seit mehreren Stunden hier … eine herrliche Frau! Rasch entschlossen, umsichtig … Jetzt ist sie eben beschäftigt, die hier liegenden Verwundeten in leerstehende Eisenbahnwaggons unterzubringen.
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/079&oldid=- (Version vom 31.7.2018)