Die in Grumitz obwaltende Stimmung war allgemein eine düstere. In der Ortschaft herrschte Panik: „die Preußen kommen, die Preußen kommen“ war auch hier – trotz den von mancher Seite gehegten Friedenshoffnungen – immer noch die ausgegebene Angstparole, und die Leute verpackten und vergruben ihre Kostbarkeiten; auch bei uns im Schlosse hatten Tante Marie und Frau Walter dafür gesorgt, daß das Familiensilber in ein geheimes Versteck gebracht werde. Lilli war in steter Sorge um Konrad, von welchem jetzt seit einigen Tagen die Nachrichten ausgeblieben waren; mein Vater fühlte sich in seiner patriotischen Ehre gekränkt und wir beide, Friedrich und ich, trotz des still in unseren Herzen ruhenden Glückes über unsere Wiedervereinigung, waren von dem miterlebten, so heftig mitempfundenen Unglück der Zeit aufs schmerzlichste erschüttert. Und von allen Seiten floß diesem Schmerze immer wieder neue Nahrung zu. In sämtlichen Zeitungsberichten, in allen Briefen aus Verwandten- und Bekanntenkreisen nichts als Klage und Trauer. Da war ein Brief von Tante Kornelie, welche ihr Unglück noch nicht kannte, worin sie in so rührenden Worten von der Furcht sprach, ihr einziges Kind etwa verlieren zu müssen – ein Brief, über den wir Zwei bittere Thränen vergossen. Und wenn wir abends im Kreise beisammen saßen, da gab es nicht heiteres, scherzgewürztes Geplauder, Musik, Kartenspiel und anregende Lektüre, sondern immer nur – gesprochen oder gelesen – Geschichten von Jammer und Tod. Wir lasen nichts anderes als Zeitungen
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)