mutlose trennen; sondern ein jeder hat seine mehr oder minder kouragierten, sowie mehr oder minder feigen Augenblicke. Und besonders, wo es sich um Scharen handelt, hängt jeder einzelne von dem Zustand seiner Gefährten ab. Wir sind Herdengeschöpfe und werden von Herdengefühlen beherrscht. Wo ein Schaf hinüberspringt, springen die anderen nach; wo einer ‚Hurrah‘ schreiend voransprengt, schreien die anderen nachsprengend mit; und wo einer die Flinte ins Korn wirft, um zu laufen, laufen die anderen auch. In dem einen Fall wird die ‚tapfere Truppe‘ laut gepriesen, im zweiten wird über ihr Vorgehen – geschwiegen, und es sind doch dieselben Leute. Ja, dieselben Menschen sind es, die je nach der Masseneinwirkung mutig oder mutlos sich gebärden und fühlen. Nicht als anhaftende Eigenschaften sind Tapferkeit und Furcht zu betrachten, vielmehr als Gemütszustände, gerade so wie Fröhlichkeit und Trauer. Ich bin während meines ersten Feldzuges einmal in den Wirbel einer solchen wilden Flucht geraten. In den offiziellen Aufzeichnungen des Generalstabs wurde das Ding zwar als ‚wohlgeordneter Rückzug‘ mit einigen Worten abgethan – es war aber eine richtige Deroute. Das tobte und kollerte und raste fort, in namenloser Verwirrung: die Waffen, die Tornister, die Tschakos und die Mäntel wurden weggeschleudert – kein Kommandowort mehr zu hören – keuchend, schreiend, verzweiflungsgepeitscht stoben die aufgelösten Bataillone dahin, der nachsprengende und nachfeuernde Feind hinterher … Das ist unter den vielen grausamen Phasen des Krieges
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/120&oldid=- (Version vom 31.7.2018)