„Auch Du nicht, Feigling?“
„Ich kann nicht allein –“
„So werde ich Dir helfen – ich will meine Tochter selber …“ Und er schritt zur Thür. „Zurück!“ schrie er mich an, da ich ihm folgen wollte. „Du darfst nicht mit – Du darfst mir nicht auch noch sterben … und denke an Dein Kind!“
Was thun? Ich schwankte … Das ist das quälendste in solchen Lagen; nicht einmal zu wissen, wo die Pflicht liegt. Leistet man den Kranken und den Toten die Liebesdienste, zu welchem das Herz drängt, so schleppt man den Keim des Übels wieder weiter und bringt den anderen, den noch verschonten, die Gefahr. Man wollte sich opfern, weiß aber, daß man mit diesem Wagnis auch andere hinzuopfern wagt.
Über solches Dilemma kann nur eines hinaushelfen: mit dem Leben abschließen – nicht nur mit dem eigenen, sondern auch mit demjenigen seiner Teuren – annehmen, daß alle zu Grunde gehen – und eins dem anderen, so lange es geht, in den Leidensstunden beistehen. Rücksicht, Vorsicht – das alles muß aufhören: Zusammen! – an Bord eines untergehenden Schiffes – Rettung gibt es keine – „halten wir uns umfangen, eng, recht eng aneinander – bis zum letzten Augenblick – und: schöne Welt, ade!“
Diese Resignation war über uns alle gekommen; die Fluchtpläne hatte man aufgegeben; jeder ging an jedes Kranken und an jedes Toten Lager; sogar Bresser versuchte nicht mehr, uns dieses Verhalten – das einzig menschliche – zu wehren. Seine Nähe, sein
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/161&oldid=- (Version vom 31.7.2018)