energisches, rastloses Schalten gab uns das einzige Sicherheitsgefühl: wenigstens war unser sinkendes Schiff nicht ohne Kapitän.
Ach, diese Cholerawoche in Grumitz! … Über zwanzig Jahre sind seither vergangen, aber noch schaudert es mir durch Mark und Bein, wenn ich daran zurückdenke. Thränen, Wimmern, herzzerreißende Sterbescenen – der Karbolgeruch, das Knochenknarren der Krampfbefallenen, die ekelhaften Symptome, das unaufhörliche Geklingel des Totenglöckleins, die Begräbnisse – nein: Verscharrungen – denn in solchen Fällen gibt es keinerlei Trauerpomp; – die ganze Lebensordnung aufgegeben: keine Mahlzeiten – die Köchin war gestorben – kein Schlafengehen des Nachts – hier und da ein stehend eingenommener Bissen, und in den Morgenstunden ein sitzendes Einnicken. Draußen, wie eine Ironie der gleichgültigen Natur, das herrlichste Sommerwetter, fröhlicher Amselschlag, üppiges Farbenglühen der Blumenbeete … Im Dorfe ununterbrochenes Sterben – die zurückgebliebenen Preußen alle tot. „Ich bin heute dem Totengräber begegnet,“ erzählte Franz der Kammerdiener, „wie er mit einem leeren Wagen vom Friedhof zurückfuhr. „Wieder ein paar hinausgeschafft?“ habe ich ihn gefragt. „Ja, wieder sechs oder sieben … alle Tag, so ein halb’ Dutzend, manchmal auch mehr … es kommt auch vor, daß einer oder der andere im Wagen drin noch a bissl muckst – aber thut nix – nur ’nein in die Gruben mit die Preußen!“
Am folgenden Tage starb der Unmensch selber und
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/162&oldid=- (Version vom 31.7.2018)