Die Stadt Berlin fanden wir in hellem Jubel. Jeder Ladenschwengel und jeder Eckensteher trug ein gewisses Siegesbewußtsein zur Schau. „Wir haben die Andern drunter gekriegt“! das scheint doch eine sehr erhebende und unter der ganzen Bevölkerung verteilbare Empfindung zu sein. Dennoch, in den Familien, die wir aufsuchten, fanden wir so manche tiefniedergeschlagene Leute, solche nämlich, welche einen unvergeßlichen Toten auf den deutschen oder böhmischen Schlachtfeldern liegen hatten. Am meisten fürchtete ich mich, Tante Kornelie wiederzusehen. Ich wußte, daß ihr herrlicher Sohn Gottfried ihr Abgott, ihr Alles gewesen, und ich konnte den Schmerz ermessen, der die arme beraubte Mutter jetzt erdrücken mußte – ich brauchte mir nur vorzustellen, daß mein Rudolf, wenn ich ihn großgezogen hätte … nein, den Gedanken wollte ich gar nicht ausdenken.
Unser Besuch war angesagt. Mit Herzklopfen betrat ich Frau von Tessows Wohnung. Schon im Vorzimmer bekundete sich die im Hause herrschende Trauer. Der Diener, der uns einließ, trug schwarze
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/182&oldid=- (Version vom 31.7.2018)