Livree; im großen Empfangszimmer, dessen Sitzmöbel mit Überzügen bedeckt waren, war kein Feuer angezündet und die Spiegel und Bilder an den Wänden waren sämtlich mit Flor verhängt. Von hier wurde uns die Thüre nach Tante Korneliens Schlafzimmer geöffnet, wo sie uns erwartete. Dasselbe, ein sehr großer, durch einen Vorhang – hinter welchem das Bett stand – geteilter Raum, diente Tante Kornelie jetzt als beständiger Aufenthalt; sie verließ nie mehr das Haus, außer um allsonntäglich in den Dom zu gehen – und nur selten das Zimmer, nur täglich eine Stunde, welche sie in Gottfrieds gewesenem Studierkabinett verbrachte. In diesem war Alles auf derselben Stelle stehen und liegen geblieben, wie er es am Tage seiner Abreise verlassen. Sie führte uns im Laufe unseres Besuches hinein und ließ uns einen Brief lesen, den er auf seine Mappe gelegt:
„Meine einzige, liebe Mutter! Ich weiß ja, meine Herzliebste Du, daß Du nach meiner Abfahrt hierherkommen wirst – und da sollst Du dieses Blatt finden. Der persönliche Abschied ist vorbei. Desto mehr wird es Dich freuen und überraschen, noch ein Zeichen zu entdecken, noch ein letztes Wort von mir zu hören, und zwar ein frohes, hoffnungsvolles. Sei guten Muts: ich komme wieder. Zwei so aneinander hängende Herzen, wie die unseren, wird das Schicksal nicht auseinander reißen. Meine Bestimmung ist es, jetzt einen glücklichen Feldzug zu überstehen, Sterne und Kreuze zu erringen – und dann: Dich zur sechsfachen Großmutter machen. Ich
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/183&oldid=- (Version vom 23.6.2018)