Seite:Blinden- und Taubstummenanstalt Gmünd.djvu/9

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Johann Georg Knie: Blinden- und Taubstummenanstalt Gmünd. In: Pädagogische Reise durch Deutschland im Sommer 1835, S. 162–172

aus Drath zur weiblichen Kleidung, als eine mir neue Arbeit, von der erblindeten Sophie Sauter erlernt, sie fertigt täglich 2–300 Haftel und eben so viel Schlingen, wodurch sie 10–12 kr. erwirbt. Zu den Bürsten liefern die Züchtlinge des nahen Strafhauses die gebohrten Brettchen; ein Tischler besorgt bei den feinern Bürsten die Politur für einen billigen Preis. Das Einziehen der Borsten geschieht von den Blinden. Alle übrigen Arbeiten machen sie ohne besondere Beihülfe. Recht geschickte Arbeiter waren die Erblindeten Geiger und Leisle. Auch eines Blinden, der nicht in der Versorgungsanstalt, sondern bei seinen Eltern lebt, und seine Erziehung der königl. Erziehungsanstalt verdankt, muß ich hier gedenken.

Leopold Kraft, ein ansprechender junger Mann, dessen Haupterwerbszweig das Clavierstimmen ist, hat sich auch als Dichter versucht, und unter dem Titel: „Gedichte eines Blinden,“ herausgegeben und seinen Freunden und Gönnern gewidmet von Leopold Kraft“ (108 S. 8.) seine Lieder und sonstigen Leistungen drucken lassen. Die gelungensten unter diesen sind die im Geiste der Kirchenlieder gehaltenen. An mir und andern Blinden glaube ich die Bemerkung gemacht zu haben, daß die Phantasie den Nichtsehenden zu wenig Stoff von außen empfängt, um einen vielseitigen dichterischen Aufschwung zu nehmen. Dem Sehenden wird es leicht, durch häufige Anschauung von verschiedenen Personen, Trachten, Sitten, anziehenden Gebäuden und Gegenden, mittelst bloßer Charakteristik und Beschreibung derselben, schon eine große Mannichfaltigkeit in seine Darstellungen zu bringen, während der Blinde hauptsächlich nur auf das Physische angewiesen ist. Das meiste Dichtertalent unter den jetzt lebenden Blinden scheint mir Johann Friedrich Richard in Hamburg in seinen „Klängen durch die Nacht“ (1830) und seinen „Nachtfaltern“ (1832) zu bekunden. Auch die „Lieder des blinden Constantin Möllmann, Essen 1823,“ enthalten Gutes und Schönes. Bedauern muß ich jedoch, daß Kraft auf den Einfall gerathen ist, als Clavierstimmer ein Wanderleben

Empfohlene Zitierweise:
Johann Georg Knie: Blinden- und Taubstummenanstalt Gmünd. In: Pädagogische Reise durch Deutschland im Sommer 1835, S. 162–172. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1837, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Blinden-_und_Taubstummenanstalt_Gm%C3%BCnd.djvu/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)