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schwangeres Weib vom Drachen verfolgt, der dem Kindlein, das geboren werden soll, nach dem Leben trachtet, das ist der Mittelpunkt dieses apokalyptischen Gemäldes. Wir werden für diese Vorstellung nach Parallelen suchen müssen auch in fremden Religionen und Mythologien. Denn das Leben Jesu gibt doch zu diesen Phantasien nicht die Erklärung, und ebenso wenig finden sich zureichende alttestamentliche Parallelen (s. u.).

12,5. καὶ ἔτεκεν [υἱὸν] ἄρσενα (ἄρρενα ἄρσεν)[1]. Diesen textlich nicht sicher stehenden Ausdruck, sieht Gunkel (200,2) als eine Übersetzung von בן זכר (vgl. Jer 20,15) an. ὃς μέλλει ποιμαίνειν (s. o. S. 169) πάντα τὰ ἔθνη ἐν[2] ῥάβδῳ σιδηρᾷ. S. zu 2,27; vgl. 19,15. Aus diesem Beiwort geht klar hervor, daß hier die Geburt des Messias geschildert werden soll. Ob freilich ursprünglich die Geburt des Jesuskindes oder eines jüdischen Messias gemeint war, kann erst weiter unten erörtert werden. Ausgeschlossen ist die erstere Beziehung durch diese Charakteristik durchaus nicht. Auch für den Apok. ist das Lamm zugleich der Löwe aus Judas Stamm. καὶ ἡρπάσθη (S. 162) τὸ τέκνον αὐτῆς πρὸς τὸν θεὸν καὶ πρὸς τὸν θρόνον αὐτοῦ. Das πρὸς τὸν θρόνον αὐτοῦ macht einen etwas schleppenden Eindruck. Sp. erklärt es daher als Glosse. Doch kann es immerhin als eine nachfolgende nähere Ortsbestimmung aufgefaßt werden. Jedenfalls verrät der Ausdruck dieselbe Hand, die Kap. 4 geschrieben hat. Wenn berichtet wird, daß das Kind zu Gott entrückt wird, so ist es auch hier wieder am einfachsten, anzunehmen, daß das Kind sich bisher nach der Vorstellung des Apokalyptikers auf der Erde befunden hat. Man könnte ja schließlich auch annehmen, daß es von einem Teil des Himmels in den andern entrückt wird. Über eine gewisse Parallele zu dieser Rettung des Messias durch seine Entführung in den Himmel, die Vischer im jerus. Talmud Berachoth II,5a nachgewiesen hat, wird in größerem Zusammenhang gehandelt werden. Es ist nun wohl sicher, daß der Apok. letzter Hand in diesem Bilde, das er hier überliefert hat, die Errettung Jesu im Kampf mit dem Teufel dargestellt fand[3]. Und zwar hat er dabei an die Himmelfahrt gedacht, nicht an die Errettung des Jesuskindes vor Herodes. Denn unmöglich kann diese letztere durch die Entrückung des Kindes zum Throne Gottes symbolisiert sein. Bei dieser Erklärung bleibt nun allerdings das Rätsel bestehen, wie es möglich war, daß ein Apokalyptiker das Leben Jesu überhaupt unter diesem Symbole schildern konnte. Denn das ganze Leben Jesu von seiner Geburt bis zur Himmelfahrt ist hier bis auf Null reduziert; Jesus ist als Kind dargestellt, das eines höheren Schutzes bedarf. Eben nur die Züge der (wunderbaren)


  1. αρσεν AC (möglicherweise ein Schreibfehler), alle übrigen αρσενα (αρρενα) auch Meth. Hipp. Durch das hinzutretende Zeugnis von Meth. und Hipp. wird die Lesart αρσενα (αρρενα) wahrscheinlich. Da Pr. nur masculum übersetzt, so bleibt es möglich, daß υιον überhaupt eine Glosse zur Erklärung des αρσενα (αρσεν) war.
  2. > εν P An.¹² 95.
  3. Freilich hat diese realistische Deutung auf Geburt und Himmelfahrt Jesu von Methodius an (s. o. S. 52f.) bis Kliefoth hin vielfachen Widerspruch gefunden, und immer wieder hat man die allegorisierende Methode bei der Deutung von Kap. 12 verwandt, die jedenfalls noch unmöglicher ist, als die realistische.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S338.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)