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CAMILLE PISSARRO, HÜGELLANDSCHAFT

Regenbogens konstruierte Kunst an sich schon genüge, um uns die Illusion einer erbaulichen Schöpfung zu schenken. Die Musik lieblicher Worte giebt aber noch nicht die Spannung des Hirns, die sich im Leser in die Zusammenziehung der besten Instinkte umsetzt. Sie schmeichelt nur den Sinnen wie der Geschmack einer süssen Frucht der Zunge, und schläfert ein, weil sie den Geniessenden nicht zum Merken treibt, zu jener Registrierthätigkeit, die den Genuss für wert findet, im Gehirn aufbewahrt zu werden und die Aesthetik zu bilden. Der Deutsche irrte, wenn er diese Thätigkeit des Hirns für eine gedankliche nahm. Nicht der Gedanke giebt dem Werke die Kunst; auch er ist nur ein Teil des Materiellen, und die Reaktion, die sich gegen die Eindeutigkeit der Tendenzkunst jeglicher Art wandte und den Prozess physiologischer ansah, forderte richtig. Jetzt besteht die Gefahr, dass man über dem Apparat die Kunst vergisst, dass immer nur wieder der Weg zur Schöpfung erwiesen wird, nicht die Schöpfung selbst, die grosse Einheit, die dem Geiste die Sammlung giebt, die starke, notwendige Erfahrungsfülle. Die Technik interessiert nur, wenn etwas damit erreicht wird, und überzeugender als alle Theorien ist das Werk, das, auf welchem Wege auch immer, bis zur Vollkommenheit gelang. Nur dieses belehrt uns. Constables und Delacroix’ Erläuterungen der Technik wären uns nicht halb so viel wert, wenn nicht ihr Werk hinter ihren Reden stünde, nicht nur, weil es uns zum Glauben an ihre Worte treibt, sondern weil wir daran die relative Richtigkeit ihrer Erkenntnisse weiter bilden und die Lücken unseres Verständnisses ausfüllen können.

Pissarro fehlt nichts so sehr als diese wesentliche Demonstration seines Schöpfungsvermögens. Seine Bilder sind wahre Kompendien der Geschichte der Technik. Alles was seit fünfzig Jahren gemalt wurde, hat er gemalt, ja fast könnte man sagen, dass er jedes Verfahren besser gemacht hat, als der andere, an den er erinnert; besser im einzelnen, deutlicher, bewusster. Und doch hat ihm die Technik

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Julius Meier-Graefe: Camille Pissarro. Cassirer, Berlin 1904, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Camille_Pissarro_(Julius_Meier-Graefe).pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)