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sie selbst von oben gesehen werden können“.[1] Die carmoisinrothen untern Schwanzdecken einiger anderer Vögel, so eines der Spechte, Picus major, können auch ohne eine derartige Entfaltung gesehen werden. Die gemeine Taube hat iridescirende Federn an der Brust, und ein Jeder muss ja gesehen haben, wie das Männchen seine Brust aufbläst, während es das Weibchen umwirbt, und dabei diese Federn auf das Vortheilhafteste zeigt. Eine der schönen bronzeflügeligen Tauben von Australien (Ocyphaps lophotes) benimmt sich, wie mir Mr. Weir es beschrieben hat, sehr verschieden. Während das Männchen vor dem Weibchen steht, senkt es seinen Kopf fast bis auf die Erde, breitet den Schwanz aus und erhebt ihn senkrecht und breitet auch seine Flügel halb aus. Es hebt dann abwechselnd den Körper in die Höhe und senkt ihn wieder langsam, so dass die iridescirenden metallisch glänzenden Federn alle auf einmal zu sehen sind und in der Sonne glitzern.

Es sind nun hinreichende Thatsachen mitgetheilt worden, welche zeigen, mit welcher Sorgfalt männliche Vögel ihre verschiedenen Reize entfalten und wie sie dies mit dem grössten Geschicke thun. Während sie ihre Federn ausputzen, haben sie häufig Gelegenheit, sich selbst zu bewundern und zu studiren, wie sie ihre Schönheit am besten darbieten können. Da aber sämmtliche Männchen einer und der nämlichen Species sich in genau derselben Art und Weise produciren, so scheint es, als seien doch vielleicht zuerst absichtliche Handlungen instinctive geworden. Wenn dies der Fall ist, so dürfen wir die Vögel nicht bewusster Eitelkeit beschuldigen; und doch scheint uns, wenn wir einen Pfauhahn mit ausgebreiteten und erzitternden Schwanzfedern umherstolziren sehen, derselbe das lebendige Abbild von Stolz und Eitelkeit zu sein.

Die verschiedenen Zierathen, welche die Männchen besitzen, sind gewiss von der grössten Bedeutung für dieselben, denn sie sind in einigen Fällen auf Kosten des bedeutend eingeschränkten Flug- oder Laufvermögens erlangt worden. Der africanische Ziegenmelker (Cosmetornis), welcher während der Paarungszeit eine seiner Schwungfedern erster Ordnung zu einem Fadenanhange von ausserordentlicher Länge entwickelt hat, wird hierdurch in seinem Fluge aufgehalten, obschon er zu andern Zeiten seiner Schnelligkeit wegen merkwürdig ist. Die


  1. Birds of India. Vol. II, p. 96.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/102&oldid=- (Version vom 31.7.2018)