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Dies ist aber ein voreiliger Schluss, da wir darnach auch zu dem Glauben an die Existenz vieler grausamer und böswilliger Geister getrieben würden, die nur wenig mehr Kraft als der Mensch selbst besitzen. Denn der Glaube an diese ist viel allgemeiner als der an eine liebende Gottheit. Die Idee eines universellen und wohlwollenden Schöpfers des Weltalls scheint im Geiste des Menschen nicht eher zu entstehen, als bis er sich durch lange fortgesetzte Cultur emporgearbeitet hat.

Wer an die Entwickelung des Menschen aus einer niedriger organisirten Form glaubt, wird natürlich fragen, wie sich dies zu dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele verhält. Die barbarischen Rassen des Menschen besitzen, wie Sir J. Lubbock gezeigt hat, keinen deutlichen Glauben dieser Art. Aber von den ursprünglichen Glaubensmeinungen der Wilden hergenommene Argumente sind, wie wir eben gesehen haben, von geringer oder gar keiner Bedeutung. Wenigen Personen macht die Unmöglichkeit einer genauen Bestimmung, zu welcher Periode in der Entwickelung des Individuums von der ersten Spur des kleinen Keimbläschens an bis zur Vollendung des Kindes entweder vor oder nach der Geburt der Mensch ein unsterbliches Wesen wird, irgend welche Schwierigkeit, und es liegt auch hier keine grössere Veranlassung eine Schwierigkeit zu finden vor, weil die Periode auch in der allmählich aufsteigenden organischen Stufenleiter unmöglich bestimmt werden kann.[1]

Ich weiss wohl, dass die Folgerungen, zu denen ich in diesem Werke gelangt bin, von Einigen als in hohem Grade irreligiös denuncirt werden; wer sie aber in dieser Weise bezeichnet, ist verbunden zu zeigen, warum es in höherem Maasse irreligiös sein soll, den Ursprung des Menschen als einer besonderen Art durch Abstammung von irgend einer niederen Form zu erklären, und zwar nach den Gesetzen der Abänderung und natürlichen Zuchtwahl, als die Geburt des Individuums nach den Gesetzen der gewöhnlichen Reproduction zu erklären. Beide Acte der Geburt, sowohl der Art als des Individuums, sind in völlig gleicher Weise Theile jener grossen Reihenfolge von Ereignissen, welche unser Geist als das Resultat eines blinden Zufalls anzunehmen sich weigert. Der Verstand empört sich gegen einen derartigen Schluss, mögen wir nun im Stande sein zu glauben, dass jede unbedeutende Abänderung der Structur, die Verbindung eines jeden Paares bei der Heirath, die Verbreitung eines jeden Samenkorns und andere derartige


  1. J. A. Picton theilt eine Erörterung hierüber mit in seinem Buche: New Theories and the Old Faith, 1870.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, II. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch2.djvu/386&oldid=- (Version vom 31.7.2018)