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Franz Pforr: Das Buch Sulamith und Maria. In: Der Wagen 1927, S. 51–58

über die Maßen die Schönheit und Zucht der beiden Mägdlein, und von Stund an deuchte sie es, daß ihr Herz genesen würde von aller Traurigkeit, wenn sie ein solches Mägdlein um sich hätte. Als sie zurück in den Palast gekommen, trat sie vor den König und sprach: Dieser Mann hat zwei schöne Töchter und ich nicht eine; wolltet Ihr mir es vergönnen, so will ich eins dieser Mägdlein zu mir als Tochter nehmen, so wird mich das Leben wieder erfreuen; wo nicht, so möchte ich lieber tot sein als leben. Da der König dies vernahm, antwortete er und sprach: Mein liebes Gemahl, dein Wille ist der meinige; tue ganz dabei, was dir gefällt. Von Stund an ließ sie die Eltern kommen und sagte ihnen alles an. Da tat es beiden fast leid, ein Kind, wenn auch nur aus dem Hause und auf eine Zeit, zu verlieren; doch als sie bedachten, welche Wohltat sie damit der guten Königin erwiesen, entschlossen sie sich dazu. Als sie nach Haus gekommen, riefen sie die Mägdlein und eröffneten ihnen alles und fragten, welche von beiden gehen wolle aus Liebe zu ihnen, der guten Königin zu dienen. Da traten Maria die Tränen in die Augen, und sie sah sich im ganzen Gemach wehmütig um, als müsse sie einen schweren Abschied nehmen. Da umfaßte sie ihre Schwester voll Liebe und sprach: Trockne deine Tränen, meine liebe Maria; ich weiß, welches Leid es dir machen würde, das Haus deiner Kindheit zu verlassen, deswegen will ich gehen, da ich doch immer in eurer Nähe bleibe. Des waren die Eltern froh und führten sie zu der Königin, die sie voll Freude empfing.


3. Kapitel.

Die Königin war voller Liebe gegen das holde Mägdlein und hielt sie wie eine Tochter und gab ihr alles, was sie nur wünschen konnte. Sie gab ihr ein Gemach, das fast herrlich war, und bestellte fünf Diener und zwei Dienerinnen, die eigens auf sie warten sollten. Doch des alles überhob sich ihr Herz nicht zum Stolz, wie wohl junge Dirnen in ihren Jahren zu tun pflegen, sondern sie blieb demütig und bescheiden und bat Gott Tag und Nacht, ihr in ihrem jetzigen Stande mit Gnade beizustehen, daß sie in dem Guten stets weiterkomme; vor Übermut aber möge er sie bewahren. Obschon sie nun eitele Pracht nicht liebte, ließ sie sich doch von ihren Dienerinnen zu seiner Zeit auf das köstlichste schmücken, ohne daß es ihr verdrüßlich gewesen wäre. Sie kam oft, ihre Eltern und ihre Schwester heimzusuchen; allein Maria war nur selten zu bewegen, zu ihr in den königlichen Palast zu gehen. Diese war im Hause der Mutter untertan und war züchtig in Geberden und Kleidung und hielt sich nach Art der Bürgerstöchter, obschon ihre Schwester ihr oft und viel anbot, Geschenke von Gold und Seide. Denn als einstmals Sulamith wußte, daß Maria zu ihr kommen wolle, legte sie ihr köstliches Gewand an, woran vor der Brust ein kleines Bild unserer lieben Frauen war, mit den edelsten Steinen verziert, setzte eine goldene Krone auf ihr Haupt, das Haar faßte sie in eine köstliche Spange von Gold und edlen Perlen, und den Hals zierte sie mit dem schönsten Geschmeide, daß sie anzusehen war wie die Sonne beim Aufgang. Als Maria in das Gemach trat, erstaunte sie vor der großen Pracht und Schönheit und wagte sich nicht zu nähern. Da trat Sulamith zu ihr und umfaßte sie voller Liebe, küßte sie und sprach: Ich mußte mich schmücken, um die, welche mir das Liebste auf Erden ist, zu empfangen. Und Maria betrachtete mit sonderbarer Freude alle Teile des Schmuckes; da schloß Sulamith ein Kästlein auf und zog heraus die kostbarsten Dinge und bat ihre Schwester, alles zu nehmen, was ihr gefiel an Gold und Edelsteinen. Doch Maria weigerte sich, etwas zu nehmen, da es nicht zu ihrem Stand passe. Da nötigte Sulamith sie fast, zwei Ohrenringe und ein kleines elfenbeinernes Kreuz zu nehmen, an welchen Dingen Maria besondere Freude bezeigte. Nach einiger Zeit begab es sich, daß die gute Königin schwer krank ward, wobei ihr Sulamith zu nicht geringem Trost und Erleichterung diente. Doch half keine menschliche Kraft; sie gesegnete die Welt und verschied. Da sprach Joseph zu seinem Weibe: Laß uns unsere Tochter wiedernehmen, auf daß wir unser Herz zwiefach erfreuen im Alter. Als das der König hörte, erlaubte er es gern und befahl, alles Gerät und Schmuck, was die Königin Sulamith gegeben hatte, in ihres Vaters Haus zu bringen, und sagte, sie möchte zum Andenken, daß die Königin sie als Tochter geliebet habe, die Krone, als sonst nur ein königliches Zeichen, immerhin an Festen tragen.


4. Kapitel.

Und es begab sich nach dieser Zeit, als Sulamith in ihr väterliches Haus zurückgekehrt war, daß Joseph bei sich überlegte, als er nachts auf seinem Bette lag, ob und wie er seinen Töchtern Männer geben sollte, daß er darüber einschlief und einen Traum hatte: er saß nämlich zu Tisch, eine seiner Töchter zur Rechten, die andre zur Linken, als plötzlich zwischen ihm und Sulamith ein Palmzweig emporwuchs, und zwischen ihm und Maria ein Rosemarinzweig, welche hoch wuchsen und beide überschatteten. Darüber erwachte er und konnte die ganze Nacht nicht schlafen und dachte der Deutung des Traumes nach, und endlich glaubte er sie gefunden zu haben, da ward er innig bewegt, er sah, da die Palme Glück und Friede bedeutet, seine Sulamith im Glück, hingegen- da Rosemarin den Tod bedeutet, seine Maria gestorben. Dies bekümmerte ihn also, daß er den ganzen Tag sich nicht fassen konnte. Nun war es gerade der Tag der Geburt des Herrn, den er nie unterließ zu feiern, und deshalb zwei seiner Blutsfreunde geladen hatte, das Abendmahl mit ihm zu nehmen; als es aber Abend wurde, kam ein Bote und sagte, daß beide nicht kommen könnten. Da sprach Joseph zu seinem Weibe: Das Mahl ist bereitet und die Gäste bleiben aus, geh' vor die Türe und lade die ersten die vorübergehen ein. Da ging Elisabeth vor die Türe des Hauses und sah zwei junge Gesellen dastehen und sprach zu ihnen: Habt ihr schon ein Mahl für das Fest dieses Abends? Da antworteten diese: Nein, wir haben noch kein Mahl für das Fest dieses Abends. Da sprach Elisabeth: So tretet herzu und nehmet es mit uns ein, und die beiden Gesellen gingen in das Haus und Joseph bewillkommte sie freundlich und setzte jedem einen Stuhl an seine Seite und redete mit ihnen und sie gefielen ihm fast wohl, und er sprach: Von wannen seid ihr, lieben Brüder, und was treibt ihr? Und sie antworteten

Empfohlene Zitierweise:
Franz Pforr: Das Buch Sulamith und Maria. In: Der Wagen 1927, S. 51–58. Otto Quitzow, Lübeck 1926, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Buch_Sulamith_und_Maria.pdf/3&oldid=- (Version vom 30.6.2018)