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Franz Pforr: Das Buch Sulamith und Maria. In: Der Wagen 1927, S. 51–58

und sprachen: Wir sind fremd und nur kürzlich hier und malen die Bilder der Heiligen und die Geschichten des heiligen Evangeliums; da redete er weiter mit ihnen, und als aufgetragen war, hieß er seine Töchter sich setzen und sein Weib zwischen sie, und er sah, daß jeder der Gesellen ein Zeichen auf der Brust gestickt hatte mit bunter Seide, und fragte sie und sprach: Lieben Brüder, was bedeutet das Zeichen, das ihr an der Brust traget? Da sprachen sie: Was sollen wir es dir verschweigen, du bist uns wie ein Vater. Wir sind Brüder eines Bundes, der geschworen ist, zusammenzuhalten in Not und Tod und alles zu tun, das unser Handwerk verbessert, bei diesem sind alle die solches treiben, und jeder trägt ein solches Zeichen, dies ist also bei unsern Malergenossen Brauch. Da beschaute Joseph es genau und fand bei dem an seiner rechten Seiten ein reines weißes Täflein mit einem smaragdgrünen Palmzweig und bei dem andern ein rotes Täflein mit einem schwarzen Kreuz, das auf einem weißen Totenkopf stand. Da erstaunte er also, daß er vom Tisch aufstehen mußte, es zu verbergen; denn er sah die Bedeutung seines Traumes, doch nahm er sich vor, nichts zu sagen, ging wieder, setzte sich zu Tisch und redete viel mit den Gesellen, und sie aßen und tranken in Freuden, doch alles, das Mahl und die Freude, hielten sie in Gottesfurcht.


5. Kapitel.

Da geschah es nun, daß die jungen Gesellen zum öftern in das Haus Josephs kamen, und er ihnen genugsam angesehen hatte, welches Gemüts sie seien, erzählte er den Traum seinem Weibe und sprach: Also hat mir geträumt, nun kenne ich diese Gesellen ein Jahr lang, und möchtest du, so gäbe ich ihnen unsere Töchter zu Weibern. Da sprach Elisabeth: Du hast wohl geredet, tue was dir gefällt. Da verbot er ihr, nichts ihnen und den Mägdlein zu sagen, und nahm sich vor, die Gesellen zu prüfen. Und als ihn die Gesellen wieder heimsuchten, sagte er ihnen, wie er gesonnen sei, ein großes Fest zu bereiten, denn er wolle seine Töchter vermählen. Da erschraken beide fast sehr und konnten keine Worte finden; als Joseph hinausgegangen war, sagte einer zu dem andern: Mein Bruder, sage mir, was dir fehlt. Und jeder antwortete und sprach: Ich liebe dieser Mägdlein eins. Darauf ging der eine, der Johannes genannt wurde, hinweg und fand Joseph im Garten, und Johannes hub an zu bitten und sprach: Mein Freund liebt deine Tochter, Lieber, gib sie ihm zum Weibe. Da sprach Joseph: Was hilft es, wenn ich mich verstelle, ich habe euch lange geprüft und euch bewährt gefunden, wollt ihr nun, so will ich jedem eine Tochter geben. Da sprach Johannes voller Freude: Wie sollen wir dir vor solche Gabe danken. Joseph antwortete: Wenn ihr die Mägdlein liebt und ihnen Liebes und Gutes erweiset, so ist es, als tätet ihr es meiner Seele, doch eins sage ich und vernehmt es wohl, ich liebe beide Mägdlein gleich und euch liebe ich auch gleich, als wäret ihr meine Söhne, keinen mehr oder weniger; nun werdet einig, welcher diese und welcher jene nehme, und bewerbet euch um sie mit Liebe und gutem Dienst, wie es gebräuchlich ist in Zucht und Ehrbarkeit, und welche dieser oder der andere nimmt, soll mir recht sein. Also schieden sie von einander mit Freude und Dankbarkeit. Es war aber also, daß Johannes Sulamith liebgewonnen hatte, der andere Geselle aber Maria. Und alsobald verzog Johannes nicht und ging zu dem andern Gesellen und fand ihn in seiner Wohnung betend, vor einem Bilde unserer lieben Frauen, daß sie ihm möchte gewähren die Geliebte seines Herzens, und Johannes redete alles mit ihm, was Joseph gesagt hatte; da wurden sie sehr froh, doch keiner getraute sich, den anderen zu fragen, welche er wünsche zur Braut, und so blieben sie still, bis Johannes anhub und sprach: Ist Maria nicht ein holdes Mägdlein? Da wollte der andere ihm antworten und sagen: Du liebst sie; doch vermochte er nicht vor Tränen zu sprechen und wendete sich ab und verhüllte sein Angesicht. Da trat Johannes zu ihm und umfaßte, küßte ihn und sprach: Fasse dich, lieber Bruder, und höre mich an; Sulamiths Schöne hat mein Herz verwundet. Maria ist hold und lieblich, aber sie wird nie meine Braut werden, denn ich liebe sie gleich einer Schwester. Da ward der andere Geselle sehr froh und sie beratschlagten sich, mit den Mägdlein zu reden.


6. Kapitel.

Und des anderen Tages früh machten sich die beiden Gesellen auf und gingen in das Haus Josephs, um ihr Wort anzubringen. Johannes fand Sulamith im Garten, wo sie ihrer Gewohnheit nach lustwandelte. Als sie ihn kommen sah, sprach sie zu sich selbst: Da kommt mein Freund, auf, laß mich ihm entgegengehen. Und er trat hinzu und redete freundlich mit ihr. Da gingen sie an einen absonderlichen Ort, wo ein Palmbaum stand, und siehe, ein Weinstock hatte sich an ihm emporgezogen. Da sprach Sulamith, die nach ihrem Gemüt alles bedachte: Wie seltsam und schön ist dieser Anblick. Und Johannes antwortete und sprach: Wohl ist es lieblich zu sehen, wenn auch nur Bäume sich in Liebe verbinden. Könntest du wohl, meine süße Freundin, dem Beispiel folgen und mein Weib werden? Da sprach Sulamith: Mein werter Freund, es geziemet sich nicht einem Mägdlein, darauf zu antworten ohne den Rat und die Einwilligung ihres Vaters. Johannes antwortete und sprach: Der Zustimmung deines Vaters sei versichert; er hieß mich dich darum angehen, und nun bitte ich dich, du wollest mir dein Herz und deine Hand nicht versagen. Und Sulamith, als sie dies hörte, errötete und sprach: Was hülfe es, wenn ich mich verstellte oder zurückhielt; ich will gerne, mein auserwählter Freund, als dein Weib das Leben mit dir teilen. Da ward Johannes von großer Freude ergriffen und faßte das liebliche Mägdlein in seine Arme und küßte den ersten Kuß der Verlobung. Dann gingen sie umschlungen hin, ihre Eltern zu suchen und um ihren Segen zu bitten. Zur Zeit, als dieses geschah, ging der andere Geselle in das innere Gemach und fand Maria sitzend in einem Fenster, nähen an einem feinen Kolter; und er grüßte sie, und sie redete freundlich mit ihm. Er vermochte aber sich nicht zu fassen, sondern ergriff ihrer Hände eine und sprach: Maria, könntest du wohl mein Weib werden? Da schlug sie die Augen zu Boden und redete nichts vor allzu großer Verschämtheit. Und er fuhr fort und sprach: Siehe, dein Vater hat verheißen, uns zu Willen zu sein, und mein Freund Johannes wird deine Schwester Sulamith erhalten. So bitte ich dich nun um Christi willen, kannst du, so werde mein Weib, willst

Empfohlene Zitierweise:
Franz Pforr: Das Buch Sulamith und Maria. In: Der Wagen 1927, S. 51–58. Otto Quitzow, Lübeck 1926, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Buch_Sulamith_und_Maria.pdf/4&oldid=- (Version vom 30.6.2018)