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Franz Pforr: Das Buch Sulamith und Maria. In: Der Wagen 1927, S. 51–58

sitzen, und hatte ein Knäblein auf ihrem Schoß, so nur wenig Monden alt war, und blickte es freundlich an. Als sie aber ihrer Eltern gewahr wurde, erschrak sie und eilte mit dem Kindlein im Arm ihnen entgegen, und sie küßten die liebe Tochter und freuten sich, also daß sie fast weinten. Und Sulamith sprach: Sehet, liebe Eltern, hier ist euer Enkel. Und es war Freude und Wonne bei allen. Da führte sie sie in das Haus, und sie traten in einen offenen Säulengang, der war anzusehen den Kreuzgängen gleich in den Klöstern der Münche. Doch war er wohl und sinnreich bemalt mit Adam und Heva, den Erzvätern, den erleuchteten Meistern Moses und Aron, den tapfern Rittern Josua und Gideon, den weisen Königen David und Salomon, den heiligen Propheten, und mehreres an Bildern aus den Büchern, so man nennet Apokryphae. Als sie nun hinaufstiegen, siehe, da waren rechts die Gemächer, und sie fanden Johannes arbeitend an einem Handriß zu dem Münster; er freute sich aber sehr, hieß sie niedersitzen und sprach: Harret ein kleines, ich will eilen und es meinem Freunde ansagen, daß er komme mit eurer Tochter Maria. Da sprach Joseph: Tue dies nicht, ich selbst will sie überraschen, wie der Tag den Wanderer überrascht, der in der Nacht irregegangen ist. Und da es Mittag war, bereitete Sulamith das Mahl unter dem Palmbaum im Garten und stellte auf Fleisch von einem guten, zarten Kalbe und ein Gemüs und Kuchen und Fische und Honigseim und Feigen, Trauben und allerlei Frucht des Gartens, und stellte süßen Wein und klares Wasser aus dem Brünnlein hinzu. Da setzten sie sich, nachdem sie den Dank dem Herrn gesprochen, und aßen und tranken mit Freuden; alsdenn besah Joseph das ganze Haus, die Gemächer und den Söller und alle Hallen und Gänge. Und sie kamen in die Werkstatt Johannis und sahen mancherlei Bilder, die wohl köstlich waren, und waren gerissen und gemalt mit aller Zierlichkeit, eine Lust dem Auge, und waren alles Geschichten aus dem Leben und Leiden unsers lieben Herren, wundersam künstlich dargestellt. Darauf sprach Joseph: Auf, laßt uns zu unsrer Tochter Maria gehen, auf daß wir sehen, wie sie lebet mit ihrem Manne. Und Johannes begleitete sie mit Sulamith, seinem teueren Weibe, die das Kindlein auf dem Arm hatte. Und sie gelangten, als sie ein weniges gegangen waren, an ein kleines Haus, das fast alt war, und es stand an der Stadtmauer. Sie stiegen aber etliche Stufen hinauf, und Johannes klopfte an der Türe, die der Knabe aufmachte, der an dem Brautzug an des anderen Gesellen Seite ging. Und Johannes führte sie die Stiege hinauf, und sie sahen durch das Fensterlein der Türe ihre Maria sitzend nähen an einem Laken; da übermannte sie die Liebe zu ihr, und sie öffneten die Türe; da sah sie Maria und stand auf von ihrem Sitze, sie aber herzten und küßten die liebe Tochter, und Elisabeth sprach: Gehet es dir auch wohl, mein Kind? möge ich dich finden wie deine Schwester. Maria antwortete und sprach: Es gehet mir wohl, und ich bin zufrieden und glücklich. Doch kommet zu meinem Manne, der mir viel erzählt hat, wie er euch getroffen. Und sie gingen in des anderen Gesellen, der genannt wurde Albrecht, Werkstätte, und er freute sich nicht wenig, sie zu sehen; und nachdem sie sich gefaßt hatten, besah Joseph alle die Tafeln, die Albrecht gemalt hatte, und es waren Geschichten aus den Legenden der Heiligen und Taten der Väter; sie gingen aber zurück in das häusliche Gemach, da war alles alt, und es gefiel ihnen doch, und von dem Fenster, an dem Maria gesessen, sah man herab tief auf den Strom und die Stadt, die von ihm geteilt wurde, und es war fast lustig, zu sehen die Schifflein, wie sie kamen und dahin fuhren, und ein großer Weinstock umzog das Fenster. Es war aber auf der Stadtmauer ein klein Gärtlein, dahinein führte sie Maria, und es war umgeben von hohen Mauern und mancher Zinne, doch gegen den Strom war es frei. Als aber der Tag sich geneiget und die Nacht da war, kehrten sie zurück ins Gemach und setzten sich um den Schein der Lampe. Und Maria stellte auf frisches Brot und Trauben und Äpfel, der Knabe brachte aber einen Krug voll edelen Weines und schenkte die Römer voll und verteilte sie; und Joseph freute sich der Zufriedenheit und Eintracht seiner Kinder und war froh im Geist und sprach: Der Herr hat mich lieb gehabt, denn Er gab mir die beste Gabe auf Erden, ein verständiges und rechtschaffenes Gemahl und gute und fromme Kinder. Er ließ mich im Alter sehen ihr Glück, wofür ihm sei Dank und Preis. Er weiß die Trauer zu kehren in Freude und das Weinen in Lachen; denn als wir vierzehn Jahre beteten um ein Kind, gedachte ich nicht, daß ich noch sitzen würde mit Töchtern und Söhnen und Enkeln. Er erhalte euch so immerdar in Reinigkeit des Herzens, und euer Glück wird nie ferne sein; vor allem aber gedenket der Worte: Kindlein, liebt euch untereinander. Und als er diese Worte geredet hatte, geschah es, daß alle bewegt wurden im Geiste, und ihre Herzen eröffneten sich in Liebe und Eintracht.

Und hiermit will ich beschließen das Buch Sulamith und Maria, und hätt' ich es lieblich gemacht, das wollte ich wohl; so ich aber zu schwach dazu bin, nehme man es hin wie es geworden. Man liest mancherlei, so gut ist und auch lieblich geschrieben; so ist es auch nicht zu schelten, wenn man etwas liest, so gut ist und nur schlechthin geschrieben. Unser Herr möge aber alle, die mit Nachsicht und Liebe dieses Büchlein betrachten, also auch segnen und sie gedeihen lassen, auf daß sie Erben seien an dem Reich Christi, das bereitet ist den Engeln und Auserwählten in Gott; und ihm sei allein Ehre, Preis und Lob von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.

Empfohlene Zitierweise:
Franz Pforr: Das Buch Sulamith und Maria. In: Der Wagen 1927, S. 51–58. Otto Quitzow, Lübeck 1926, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Buch_Sulamith_und_Maria.pdf/8&oldid=- (Version vom 30.6.2018)