Seite:Das Geheimnis eines Lebens.pdf/24

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ob die junge Frau ihre ganze Energie zusammennahm. Ihre Hände sanken herab, sie erhob sich schnell und trat auf Dreßler zu.

„Ich habe nichts fortgenommen – nichts!“ Wie ein Zischen klangen diese Worte, die eine mühsam verhaltene Wut hervorzudrängen schien. „Nichts – Verstehen Sie mich, Herr Doktor! Und was Sie da eben von der Vergangenheit meines armen Vaters faselten, das – das ist alles Unsinn – Unsinn!“

Die Worte überstürzten sich förmlich. Dann ging Maria Wieland schnell zur Tür. Hier wandte sie sich nochmals um und, wie der Eingebung des Augenblicks folgend, rief sie Dreßler zu:

„Ich will nicht, daß Sie sich in unsere Angelegenheiten mischen, will es nicht!“

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß. Dreßler war allein. Wie betäubt stand er eine ganze Weile regungslos da. – Was war das soeben gewesen? Hatte er recht gehört, gesehen? War in diese Frau plötzlich ein anderer Geist gefahren? Und warum das alles, warum? – Er begann gedankenvoll auf dem dicken Teppich hin und her zu gehen. – Wer war diese Frau, die ihm jetzt in Feindschaft gegenübertrat, jetzt, wo er an den Schleiern rühren wollte, nein, mußte, die ihre Vergangenheit verhüllten?

Und wieder überkam Dreßler dieses unbestimmte Gefühl, diese Vorahnung, die uns so oft vor Unangenehmem zu warnen scheint. Was hatte er im Grunde genommen davon, wenn er diesen Rätseln weiter nachspürte? Darüber konnte er ja nicht im Zweifel sein, weswegen Frau Maria ihm soeben mit diesem offenbaren Haß begegnet war. Sie fürchtete ihn eben als einen Menschen, dem sie die Fähigkeit zutraute, ihr ein gefährliches Geheimnis entreißen zu können. Und um ein solches mußte es sich hier handeln, mußte! Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß die bisher so harmlos fröhliche, lebenslustige Maria sich so urplötzlich derart in ihrem ganzen Sichgeben verändern konnte! Ja, war es nicht wirklich für ihn das beste, die weitere Entwicklung der Dinge als Unbeteiligter

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)