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Es wird wohl der überreichlich genossene Kognak gewesen sein, der mir die Wohltat des Schlummers vermittelte. Ich habe bis zehn Uhr ganz fest geschlafen. Meine Nerven haben sich beruhigt. Ich sehe die Geschehnisse sehr kühl und gleichgültig an … Mir kann nichts geschehen, nichts …

Ich habe mir mein Frühstück bereitet und habe dabei wiederholt zum Fenster hinausgeschaut – in den verwilderten Garten hinab …

Dann habe ich festgestellt, daß ich den Vorplatz vor der Laube übersehen kann …

Und – ich sah nichts, gar nichts … Keinen Toten – nichts …

Nur zwei Krähen hockten oben auf der Laube …

Krächzten …

Ob man die Leiche schon gefunden hat?!

Merkwürdig ist’s daß dann im Garten so gar niemand von der Polizei sich zeigt …

Ich begreife das nicht …

Jedenfalls, – der Tote ist nicht mehr da! Das steht fest …

Ob ich nicht nachher zu Herrn Fiedler hinabgehe und mit ihm alles durchspreche? Vielleicht, daß er mir einen Rat geben kann, ob ich die Erlebnisse der verflossenen Nacht nicht noch nachträglich der Polizei melden soll … –

Es hat geklopft …

Hilde Winter bringt mir die Anmeldeformulare …

Sie ist entzückend in ihrer sicheren Zwanglosigkeit … Ihr erscheint es offenbar durchaus nicht „unfein“, allein einen Junggesellen zu besuchen. Sie hat mit mir eine ganze Weile geplaudert, hat meine Bilder sich angesehen und hat mir bewiesen, daß sie auch von Kunst etwas versteht …

Ich aber habe heute mit dem scharfen Auge des Malers festgestellt, daß dieses junge liebliche Geschöpf zweifellos vor aller Welt einen großen Kummer verbirgt …

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das Kreuz auf der Stirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1925, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Kreuz_auf_der_Stirn.pdf/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)