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Ich habe Hilde all die Gänge und Besorgungen abgenommen, und heute mittag ist August Winter beerdigt worden.

Ein großes Gefolge von Neugierigen … Und – auch Harst und Schraut, die ich inzwischen nicht mehr gesehen hatte.

Als ich mit Hilde am Grabe stand und ihren Arm zärtlich an mich drückte, da ist in meiner Seele flüchtig die Erkenntnis aufgegangen, daß ich niemals imstande sein werde, das zu vollenden, was mit dieser Verlobung begonnen hat …

Nein – ich kann es nicht! Es geht über meine Kraft! Es wäre – – ein Verbrechen! Und ich will kein … – Hier zögert meine Feder, den begonnenen Satz zu vollenden … –

Wir haben in Fräulein Wendigs behaglichem Heim nach dem Begräbnis über unsere Zukunft gesprochen. Fräulein Wendig meinte, es sei am besten, wenn Hilde und ich in aller Stille recht bald heirateten. – August Winter hat kein Testament hinterlassen. Hilde ist sein einziges Kind und somit Erbin des Hausen und eines Vermögens von rund dreißigtausend Mark, das Winter schon 1912 in holländischen Papieren festgelegt hatte. Wir könnten also von den Zinsen und dem Ertrag meiner Arbeit recht gut leben, da wir beide sehr anspruchslos sind.

Hilde war mit Fräulein Wendigs Vorschlägen durchaus einverstanden. Sie saß neben mir, Hand in Hand, und in ihren lieben Augen war so viel Zärtlichkeit, daß … es mir fast weh tat!

Wenn sie ahnen würde!!

Und ich tat gleichfalls so, als ob ich mich innig freute, Hilde recht bald für alle Zeit Stütze und Schutz sein zu können …

Ich tat so …! In meinem Innern tummeln sich Gespenster …

Ich war froh, als ich dann gegen drei Uhr nachmittags in mein Atelier flüchten konnte …

Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das Kreuz auf der Stirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1925, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Kreuz_auf_der_Stirn.pdf/51&oldid=- (Version vom 31.7.2018)