Hendrik Antoon Lorentz: Das Relativitätsprinzip und seine Anwendung auf einige besondere physikalische Erscheinungen | |
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wenn nur ein Strom vorhanden ist; d. h. ein Beobachter wird den Körper für geladen erklären, den ein relativ zu ihm bewegter für ungeladen halten muß. Man kann das verstehen, wenn man beachtet, daß in jedem Körper gleich viele positive und negative Elektronen vorhanden sind, die sich bei ungeladenen Körpern kompensieren. Bewegt sich der Körper mit der Geschwindigkeit , so werden, wenn ein Leitungsstrom vorhanden ist, beide Elektronenarten verschiedene Gesamtgeschwindigkeiten erhalten, also wird für beide Arten auch die Größe verschiedene Werte haben. Berechnet nun ein mit dem Körper bewegter Beobachter den Mittelwert der Ladungsdichte für beide Arten von Elektronen, so kann er die Summe Null erhalten, auch wenn sich für einen Beobachter , in dessen Bezugssystem der Körper sich bewegt, die Mittelwerte der positiven und negativen Elektronen nicht kompensieren.
Dieser Umstand ruft eine Reminiszenz an eine alte Frage hervor. Um das Jahr 1880 gab es unter den Physikern eine große Diskussion über das Clausiussche Grundgesetz der Elektrodynamik. Man wollte damals einen Widerspruch dieses Gesetzes mit den Beobachtungen herleiten, indem man schloß, daß nach dem Gesetze ein auf der Erde befindlicher stromdurchflossener Leiter auf eine mitbewegte Ladung infolge der Erdbewegung eine Wirkung ausüben müßte, die man hätte auffinden können. Daß das Gesetz tatsächlich diese Wirkung nicht fordert, hat Budde bemerkt; es rührt das daher, daß der Strom durch die Erdbewegung auch auf sich selbst wirkt und eine „Kompensationsladung“ auf dem durchflossenen Leiter hervorruft, die jene erste Wirkung genau aufhebt. Zu ähnlichen Schlüssen führt die Elektronentheorie und ich finde für die Dichte der Kompensationsladung, wenn die Geschwindigkeit die Richtung der -Achse hat,
diese muß ein an der Bewegung der Erde nicht teilnehmender Beobachter als vorhanden annehmen, während sie für einen mitbewegten Beobachter nicht besteht. Der angegebene Wert stimmt genau mit der aus dem Relativitätsprinzip abgeleiteten Formel überein; denn ist , so findet man aus dieser Formel
und da nach dem im Vorhergehenden (S. 75) Gesagten die Geschwindigkeit der beiden Bezugssysteme gegeneinander ist, so findet man in der Tat
Hendrik Antoon Lorentz: Das Relativitätsprinzip und seine Anwendung auf einige besondere physikalische Erscheinungen. B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1913, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Relativit%C3%A4tsprinzip_und_seine_Anwendung.djvu/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)