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Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275

heran und versuchte ihre Hand zu ergreifen. „Oh, ich bin schlecht gewesen, ja sehr schlecht,“ stieß sie unter Tränen hervor. „Aber ich schämte mich so, weil … weil mein Vater die tausend Dollar hergegeben hat und … mit ihnen gegen Walters gemeinsame Sache machen will.“

Sie hatten nicht bemerkt, daß die Pferde plötzlich stehen geblieben waren und jetzt ängstlich schnaubend rückwärts drängten. Richter atmete bei Mias Worten wie von einer drückenden Last befreit auf, hielt die heißen Finger in seiner Hand und drückte sie zärtlich. Er suchte die Weinende nun auf jede Weise zu beruhigen. Endlich gelang es ihm. Mia trocknete ihre Tränen, langte nach den Zügeln, die ihr vorhin entfallen waren und gab Alix, die mit gesenktem Kopf am Boden herumschnupperte, aufmunternd die Sporen. Doch der Pony gehorchte nicht, machte einen Satz nach rückwärts, der die Reiterin beinahe aus dem Sattel geschleudert hätte, und blieb dann steifbeinig stehen. Da erst wurde das Mädchen aufmerksam. Ihr Blick flog in die Runde. Ringsum starrte ihnen eine Wand von dichten Kaktusstauden entgegen, und nur hinter ihnen zeigte sich ein lichter, schmaler Gang, durch den sie in diesen Stachelwald nichtsahnend eingedrungen waren, da sie in den letzten Minuten kaum auf den Weg geachtet hatten. Auch Richter sah jetzt überall die drohenden, hier fast mannshohen Büsche, meinte aber scherzend, nur um seiner Begleiterin die gute Laune wiederzugeben: „Da sind wir ja in eine nette Mausefalle geraten, Fräulein Mia! Und wer hat die Schuld? Ich natürlich allein! Hätte ich weiter den schweigsamen Freund gespielt, so wären wir nie in diesen Engpaß eingelenkt, nicht wahr?“

Doch das Mädchen schüttelte nur bedenklich den Kopf und sagte, indem sie Alix vorsichtig rückwärts gehen ließ: „Wir müssen uns verirrt haben, Master Richter, wir sind wahrscheinlich nach Norden abgewichen. Denn so weite Kaktusfelder, wie wir sie hier vor uns sehen, gibt’s in der Richtung nach Neuparis nicht. Und wenn’s schließlich auch nicht weiter gefährlich ist, unangenehm bleibt’s immer, da es vielleicht noch Stunden dauert, bis ich mich wieder zurechtgefunden habe.“

Vergeblich suchte Mia, nachdem sie glücklich aus dem Engpaß heraus waren, nach der Spur der beiden Pferde. Sie war abgestiegen und tiefgebückt der Fährte Schritt für Schritt nachgegangen, mußte aber bald einsehen, daß sie auf diese Weise doch nicht den Ausgang aus diesem Labyrinth entdecken würde, da auf diesem von dichtverschlungenen Kakteensträuchern umgebenen Platz wunderbarerweise eine ganze Anzahl von Eindrücken von Pferdehufen kreuz und quer durcheinanderliefen, so daß es bei der Dunkelheit unmöglich war, einer bestimmten Spur zu folgen. Mia macht sich darüber ihre besonderen Gedanken. Ihr war die merkwürdige, so ungeschickt verwischte Spur eingefallen, die sie auf dem Hinweg bemerkt hatte, und sie vermutete wohl nicht zu Unrecht, daß die Fährten von den dem Farmer Collins gestohlenen Pferden herrührten. Richter, der bisher wortlos dem Beginnen seiner Begleiterin zugeschaut hatte, deutete jetzt auf einen kaum sichtbaren hellen Schein hin, der sich vor ihnen in der Dunkelheit wie ein rötlicher Kegel abzeichnete. Mia stieg schnell in den Sattel und spähte lange nach der angedeuteten Richtung.

„Zweifellos brennt dort vor uns in der Steppe ein Lagerfeuer,“ meinte sie leise. „Und wer sich daran wärmt, glaube ich mit ziemlicher Bestimmtheit zu wissen.“ Sie zögerte erst, fuhr dann aber entschlossen fort, da sich das alte Grenzerblut[ws 1] in ihren Adern zu regen begann. „Was meinen Sie dazu, Master Richter, wenn wir uns einmal vorsichtig an jenes Feuer heranschleichen würden? Es wäre doch ganz interessant, einmal festzustellen, wer hier, keine vier Meilen von Neuparis, ein Quartier unter freiem Himmel dem immerhin etwas behaglicheren Aufenthalt im „Präsidenten“ vorzieht!“

„Sie vermuten, daß wir die Pferdediebe vor uns haben,“ meinte Richter eifrig. „Die Schwierigkeit wird nur sein, bis an den Lagerplatz heranzukommen, da das dornige Gestrüpp uns sicher nicht durchläßt, ohne daß wir einige tüchtige Risse davontragen.“

Doch Mia schwang sich schon aus dem Sattel, hing die Büchse über die Schulter, schnallte eine Trense los und band Alix damit die Vorderbeine zusammen. Das junge Mädchen schien wie ausgewechselt. Die bisherige Unsicherheit war verschwunden, und die, die jetzt so zielbewußt und ohne viel Worte handelte, war wieder Will Pickers energisches Töchterlein, vor der in den kaum entschwundenen wilden Zeiten, als noch unter den Goldgräbern der Koloradowüste mancher heißblütige Desperado sich um die Gunst des schönen Kindes bemühte, all diese rauhen Verehrer einen heillosen Respekt gehabt hatten, da die Kugeln in Mias kleinem Revolver, den sie damals stets bei sich trug, äußerst locker saßen.

Richter war inzwischen dem Beispiel seiner Begleiterin gefolgt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Grenzerlut
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275. W. Kohlhammer, Stuttgart 1908, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tal_der_Tr%C3%A4nen.pdf/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)